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Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten
Autoren: Muriel Spark
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fünfzehn sollte sie hier sein. Sag ihnen, sie sollen das Radio da oben leiser stellen, es macht so einen vulgären, einen so schlechten …»
    «Sie wollen sagen, es klingt so vulgär, so schlecht.» Jane schaute nach dem Taxi aus, das, wie sie hoffte, Nicholas jeden Augenblick vor dem einsatzbereiten Hotel nebenan absetzen mußte.
    «Noch einmal», ertönte Joannas Stimme klar aus dem dritten Stock. «Die letzten drei Strophen bitte noch einmal», sagte sie zu ihrer Schülerin.
     
    Blas, daß mein Traurigsein das All durchkreist
    wie braunes Laub, das grün einst wiederkehrt!
     
    Jane beneidete Joanna plötzlich glühend; woher dieser Neid rührte, darüber vermochte sie sich in jener Stunde ihrer Jugend nicht klarzuwerden. Dieses Gefühl hing zusammen mit einem geheimen Wissen von Joannas Uneigennützigkeit, ihrer Begabung, ihrer Fähigkeit, sich selbst und ihre Person zu vergessen. Jane fühlte sich plötzlich elend, wie jemand, den man aus dem Paradies vertrieben hat, noch ehe er überhaupt erkannt hatte, daß es wirklich das Paradies gewesen war. Sie erinnerte sich an zwei Bemerkungen, die Nicholas einmal über Joanna gemacht hatte: daß nämlich Joannas Begeisterung für die Poesie sich auf eine ganz bestimmte Art Dichtung beschränke und daß ihre Religiosität etwas leicht Melancholisches habe. Beide Vorstellungen vermochten Jane nicht zu trösten.
    Nicholas kam im Taxi an und verschwand im Hoteleingang. Als Jane schon die Treppe hinaufstürzte, fuhr ein zweites Taxi vor. «Mrs. Dobell ist da, es ist zweiundzwanzig Minuten nach sechs», sagte Greggie.
    Jane lief in mehrere Mädchen hinein, die in lebhaften Gruppen aus den Schlafsälen kamen. Sie bahnte sich ihren Weg durch sie hindurch, begierig, Tilly möglichst rasch mitzuteilen, daß Hilfe nahte.
    «Janeie!» rief eins der Mädchen. «Sei doch nicht so verdammt unhöflich, du hast mich über das Geländer beinahe in den Tod gestoßen.»
    Aber Jane drängte nach oben.
     
    Bald schläft das rosenrote Blatt, und bald das weiße.
     
    Als Jane oben ankam, fand sie Anne und Selina dabei, in rasender Eile Tillys untere Hälfte zu bekleiden, damit sie anständig aussähe. Sie waren gerade bei den Strümpfen, Anne hielt ein Bein fest, während Selina langfingrig den Strumpf überzuziehen versuchte.
    «Nicholas ist da. Ist er schon auf dem Dach draußen?»
    Tilly stöhnte. «Ach, ich sterbe. Ich kann es nicht länger aushalten. Hol George, George soll kommen!»
    «Nicholas ist da», sagte Selina, die bei ihrer Größe Nicholas aus dem tiefer gelegenen Ausstieg des Hoteldachgeschosses emportauchen sah, wie jüngst in den stillen Sommernächten. Er stolperte über eine Decke, die zusammengerollt neben dem Ausstieg lag. Es war eine der Decken, die sie beide herausgeschleppt hatten, um darauf zu liegen. Er fand sein Gleichgewicht wieder, wollte schnell zu ihnen hinüberlaufen und fiel plötzlich aufs Gesicht. Eine Uhr schlug halb. Jane hörte sich mit lauter Stimme sagen: «Es ist halb sieben.» Plötzlich saß Tilly neben ihr auf dem Boden der Toilette. Auch Anne lag zusammengekrümmt auf dem Boden, den Arm über die Augen gelegt, so als wollte sie sich verstecken. Selina lehnte wie betäubt an der Tür. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, und schrie vermutlich auch, aber gerade in diesem Augenblick begann im Garten unten ein Rumoren, das rasch zu einem gewaltigen Krach anschwoll. Noch einmal zitterte das Haus und die Mädchen, die versucht hatten, sich wieder aufzurichten, wurden flach auf den Boden geworfen. Der Fußboden war bedeckt mit Glassplittern und Janes Blut sickerte aus irgendeiner Wunde, während irgendwie Zeit stumm verstrich. Stimmen, Rufe, Schritte, die heraufkamen, fallender Stuck drangen ins Bewußtsein der Mädchen und ließen sie mehr oder weniger begreifen, was geschehen war. Jane nahm unscharf das riesige Gesicht von Nicholas wahr, der durch den offenen Spalt des kleinen Fensters hereinblickte und sie antrieb, schnell aufzustehen.
    «Im Garten ist was explodiert.»
    «Greggies Bombe», sagte Jane und grinste Tilly an, «Greggie hatte also recht.» Das war eine höchst erheiternde Feststellung, aber Tilly lachte nicht, sie schloß die Augen und ließ sich wieder zurückfallen. Tilly war nur halb bekleidet und sah in der Tat äußerst drollig aus. Jane lachte laut und sah Nicholas an, aber auch der hatte keinen Sinn für Humor.
     
     
    Unten auf der Straße hatte sich inzwischen der größte Teil des Clubs versammelt, da sich die meisten zur
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