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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition)
Autoren: Bertrand Russell
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das heißt Menschen, die einen bestimmten Anteil, aber nicht mehr, an der Geisteshaltung der Regierung haben und anderen zugestehen. Wo es keine Demokratie gibt, ist die Regierungsmentalität die von Herren gegenüber ihren Untergebenen; wo aber die Demokratie besteht, drückt diese Geisteshaltung Zusammenarbeit auf der Grundlage der Gleichheit aus, was die Behauptung der eigenen Meinung bis zu einem bestimmten Punkt, aber nicht weiter, in sich schließt.
    Das führt uns zu einer Quelle des Irrtums für viele Demokraten, nämlich zu dem, was man »Prinzip« nennt. Das meiste Gerede über Prinzip, Aufopferung, heroische Ergebenheit für eine Sache und so weiter sollte ein wenig skeptisch betrachtet werden. Ein bisschen Psychoanalyse wird oft zeigen, dass, was unter diesen schönen Namen auftritt, in Wirklichkeit etwas ganz anderes ist, nämlich Stolz oder Hass oder Rachsucht – und dass das alles idealisiert und kollektiviert und personifiziert wurde, bis es als edle Form eines Idealismus in Erscheinung trat. Der kriegerische Patriot, der willens ist, für sein Land zu kämpfen und das sogar herbeiwünscht, kann mit Grund verdächtigt werden, beim Töten ein gewisses Vergnügen zu empfinden. Ein gutes Volk, ein Volk, dem in der Kindheit Güte und Glück widerfahren ist und das in der Jugend die Welt als schön und freundlich kennengelernt hat, würde keine besondere Art von Idealismus entwickeln, die man Patriotismus oder Klassenkampf oder was sonst noch alles nennt und die darin besteht, dass man sich vereinigt, um massenhaft Menschen umzubringen. Ich glaube, dass die Neigung zu grausamen Formen des Idealismus durch eine unglückliche Kindheit verstärkt wird und dass sie vermindert werden würde, wenn die frühe Erziehung vom emotionellen Gesichtspunkt aus das wäre, was sie sein sollte. Fanatismus ist ein Schaden, der teilweise emotioneller, teilweise intellektueller Natur ist; er muss durch eine Art von Glücklichsein bekämpft werden, die die Menschen gütig macht, sowie durch eine Art von Intelligenz, die an wissenschaftliches Denken gewöhnt ist.
    Das für den Erfolg der Demokratie erforderliche Temperament im praktischen Leben gleicht durchaus dem wissenschaftlichen Temperament im Geistesleben; es ist genau in der Mitte zwischen Skepsis und Dogma angesiedelt. Es hält die Wahrheit weder für völlig erreichbar noch für völlig unerreichbar; sie ist bis zu einem bestimmten Grade erreichbar, und das nur mit Schwierigkeit.
    Autokratie ist in ihren neuen Formen immer mit einer Anschauung verbunden: der Hitlers, der Mussolinis oder der Stalins. Wo es Autokratie gibt, wird eine Reihe von Glaubenssätzen jungen Menschen eingebleut, die noch nicht fähig sind zu denken, und diese Glaubenssätze werden mit solcher Beharrlichkeit gepredigt, dass man hoffen darf, die Schüler würden später niemals mehr der hypnotischen Wirkung ihres frühen Unterrichts entkommen können. Der Glaube wird nicht mit der Hilfe von Argumenten gelehrt, denen zufolge man ihn für wahr halten könnte, sondern durch papageienhafte Wiederholung, Massenhysterie und Massensuggestion. Wenn zwei entgegengesetzte Meinungen auf diese Weise in die Welt gesetzt worden sind, bilden sie zwei Armeen, die aufeinander stoßen, nicht zwei Parteien, die miteinander diskutieren können. Jeder hypnotisierte Automat spürt, dass alles Heilige dem Sieg seiner Partei verhaftet ist und das Schrecklichste von der anderen Seite beispielhaft dargestellt wird. Solche fanatischen Bünde können sich nicht im Parlament treffen und sagen »Wir wollen sehen, wer die Mehrheit hat«; das wäre zu einfach, denn jede Partei verteidigt eine geheiligte Sache. Diesen Dogmatismus muss man verhüten, wenn man die Diktatur vermeiden will, und die Maßnahmen zu seiner Verhütung müssen einen wesentlichen Platz in der Erziehung einnehmen.
    Wenn ich im Erziehungswesen zu bestimmen hätte, würde ich die Kinder den überzeugtesten und am meisten beredten Verteidigern aller Ansichten über jede wichtige Frage aussetzen, Männern, die über das Radio zu den Schulen sprechen. Der Lehrer sollte nachher die Kinder auffordern, die vorgebrachten Argumente zusammenzufassen, und nebenbei der Ansicht Ausdruck gehen, dass Beredsamkeit zu solider Begründung im umgekehrten Verhältnis steht. Es ist für die Bürger einer Demokratie von äußerster Bedeutung, gegen Beredsamkeit immun zu werden.
    Moderne Propagandisten haben von Reklamefachleuten gelernt, die in der Technik der Hervorbringung
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