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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition)
Autoren: Bertrand Russell
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die einmal gewählte Regierung wäre so allmächtig wie Hitler und könnte ihre eigene Wiederwahl am Ende ihrer Regierungszeit mit Leichtigkeit in die Wege leiten. Die Demokratie könnte als Form weiterleben, aber sie besäße nicht mehr Wirklichkeit als die Formen der Volksregierung, die im römischen Kaiserreich ihr Dasein fristeten.
    Die Annahme, dass unverantwortliche Macht, nur weil man sie sozialistisch oder kommunistisch nennt, auf wunderbare Weise von den schlechten Eigenschaften aller willkürlichen Macht der Vergangenheit frei sein würde, ist einfach lächerliche Kinderzimmer-Psychologie: Der böse Prinz wird vom guten Prinzen hinausgeworfen, und alles ist gut. Wenn man einem Prinzen trauen soll, so nicht, weil er »gut« ist, sondern weil es gegen seine Interessen ist, »schlecht« zu sein. Um das sicherzustellen, muss man die Macht harmlos machen; aber man kann sie nicht harmlos machen, wenn man Menschen, die wir für »gut« halten, in unverantwortliche Despoten verwandelt.
    Die BBC ist eine staatliche Einrichtung, die zeigt, was in Bezug auf Vereinigung von Propagandafreiheit und Regierungsmonopol möglich ist. Zu Zeiten, wie etwa während des Generalstreiks, hört sie allerdings auf, unparteiisch zu sein; in gewöhnlichen Zeiten aber gibt sie verschiedene Ansichten wieder, soweit wie möglich im Verhältnis zu ihrer numerischen Stärke. In einem sozialistischen Staat müssten ähnliche unparteiische Maßnahmen in Bezug auf das Mieten von Sälen für Versammlungen und auf den Druck von gegnerischer Literatur getroffen werden. Man könnte es wünschenswert finden, statt verschiedener Zeitungen, die verschiedene Anschauungen vertreten, eine zu haben, die ihre Seiten verschiedenen Parteien zur Verfügung stellte. Dies hätte den Vorteil, dass die Leser alle Meinungen kennenlernen und weniger einseitig sein würden als die, die heutzutage in einer Zeitung niemals etwas sehen, mit dem sie nicht übereinstimmen.
    Es gibt bestimmte Gebiete, wie Kunst und Wissenschaft und (soweit es die Aufrechterhaltung der Ordnung zulässt) politische Parteien, wo eine Uniformität nicht nötig oder selbst wünschenswert ist. Hier liegt die legitime Sphäre des Wettbewerbs, und es ist von Bedeutung, dass das öffentliche Denken und Fühlen Meinungsverschiedenheiten auf diesem Gebiet ohne Hassausbrüche duldet. Wenn die Demokratie Erfolg haben und dauern soll, muss sie tolerant sein, darf sie nicht zuviel Hass und nicht zu viel Liebe der Gewalttätigkeit beinhalten. Aber das führt uns zu den psychologischen Bedingungen für die Zähmung der Macht.
     
    4. Die psychologischen sind in mancher Hinsicht die schwierigsten Bedingungen für die Zähmung der Macht. In Verbindung mit der Psychologie der Macht sahen wir, dass Furcht, Wut und alle Arten von gewaltsamer kollektiver Erregung die Menschen leicht dazu bringen, blind einem Führer zu folgen, der in den meisten Fällen Vorteil aus ihrem Vertrauen zieht, um sich selbst zum Tyrannen zu machen. Es ist daher, wenn die Demokratie bewahrt werden soll, von Bedeutung, sowohl Umstände zu vermeiden, die allgemeine Erregung hervorrufen, als auch das Volk so zu erziehen, dass es solchen Stimmungen nicht unterworfen ist. Wo der Geist eines wütenden Dogmatismus herrscht, kann jede Meinung, mit der die Leute nicht übereinstimmen, leicht einen Bruch in der Ordnung hervorrufen. Schuljungen misshandeln gern einen Kameraden, dessen Ansichten irgendwie merkwürdig sind, und viele erwachsene Männer sind in mentaler Hinsicht niemals über das Schulalter hinausgekommen. Eine verbreitete liberale Stimmung, die mit ein wenig Skeptizismus gemengt ist, macht eine gesellschaftliche Zusammenarbeit viel weniger schwierig und die Freiheit entsprechend möglicher.
    Ein belebender Enthusiasmus, wie der der Nazis, weckt in vielen Bewunderung durch die Energie und die scheinbare Selbstverleugnung, die er hervorbringt. Kollektiverregung, die Gleichgültigkeit dem Schmerz oder sogar dem Tode gegenüber mit sich bringt, ist in der Geschichte keine unbekannte Erscheinung. Wo sie besteht, ist keine Freiheit möglich. Die Enthusiasten können nur durch Gewalt in Schranken gehalten werden, und wenn man sie nicht in Schranken hält, werden sie gegen andere Gewalt anwenden. Ich erinnere mich an einen Bolschewisten, den ich 1920 in Peking traf. Er lief im Zimmer auf und ab und rief mit völliger Überzeugtheit aus: »Wenn wir sie nicht töten, werden sie uns töten!« Das Bestehen einer solchen Stimmung auf der
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