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Lustschreie

Lustschreie

Titel: Lustschreie
Autoren: Corinna Rueckert
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eine erotischere Klangfarbe annahm. Sie fühlte sich so sinnlich, begehrt und übermütig, als hätte sie sich frisch verliebt.
     
So stand sie also vor dem Spiegel, sich eingehend betrachtend, und versuchte, die Nervosität, die sich durch ein stetiges Kribbeln im Magen bemerkbar machte, niederzukämpfen.
     
Bevor sie in das Kostüm hineinschlüpfte, prüfte sie noch einmal, ob sie die Vorzüge ihres vierzigjährigen Körpers voll zur Geltung gebracht hatte.
     
Der schwarze Slip mit breiter Spitzenborte betonte ihre schmale Taille ebenso wie ihre kräftigen langen Beine. Die kurze, durchgeknöpfte, sehr schlichte Corsage formte ihre Brüste zu zwei fast jugendlich hervorstehenden Hügeln, die sich unter einem passablen Dekolleté hervorwölbten. Normalerweise hätte sie nun, der Einfachheit halber, eine Strumpfhose übergezogen. Doch diesen Stilbruch erlaubte sie sich heute nicht. Entschlossen griff sie nach einem Paar halterlosen Strümpfen, die zwar etwas unbequem, aber dafür unglaublich einladend waren.
     
Eine schwarze Chiffon-Bluse rundete ihr Erscheinungsbild ab und beendete die Sucherei in ihrem Kleiderschrank. Sie hatte eben noch Zeit für einen Bürstenstrich durch ihr halblanges Haar, und dann stand sie auch schon auf der Straße. Nichts vergessen? Schnell noch ein prüfender Blick in ihren Taschenspiegel: Ein Hauch Kajal und etwas Lippenstift verliehen ihr ein frisches, wenn auch leicht verruchtes Aussehen.
     
Sie war zufrieden mit sich. Würde es der Fremde auch sein?
     
Eine Viertelstunde später erreichte sie die Kastanie. Ihr schmerzten bereits die Füße, weil sie es nicht gewohnt war, auf Absätzen zu gehen. Doch für diesen besonderen Anlass genoss sie die Qual. Sie schaute gerade auf ihre Schuhspitzen, als der gezielte Griff durch den hinteren Schlitz ihres Rockes sie erstarren ließ.
     
«Drehen Sie sich nicht um, und schließen Sie Ihre Augen!»
     
Sie hatte den wohligen Bariton eines kräftigen Mannes erwartet und war nun etwas enttäuscht von der gar nicht so tiefen Stimme, die sie soeben angesprochen hatte. Während sie bereits den Anweisungen gehorchte, versuchte sie sich das passende Gesicht vorzustellen. Ob es wohl eher schmal war? Die Hand ruhte nun nicht mehr zwischen ihren Beinen, sondern lag ruhig auf ihrer Schulter, um die Richtung zu weisen.
     
Sie überließ sich dieser Hand und den Anweisungen der unbekannten, fast weichen Stimme: «Geradeaus. Vorsicht, zwei Stufen abwärts. Jetzt nach links.» Plötzlich wurde sie zum Halten aufgefordert. Ein Körper schob sich an ihr vorbei. Sie hörte, wie sich klirrende Schlüssel unter Stoff bewegten, eine Tür geöffnet wurde, und folgte der Stimme in das Innere eines Hauses. Sie widerstand immer noch der Versuchung, die Augen zu öffnen, und überließ die anderen Sinne den sie umfangenden Eindrücken. Der frische Duft von Melissenöl hing in der Luft, die angenehme Wärme vermischte sich hin und wieder mit einem kühlen Luftzug. Irgendwo ließ ein offen stehendes Fenster die gedämpften Geräusche der Stadt herein.
     
Leise Schritte kamen auf sie zu, verharrten vor ihr. Eine Hand berührte ihre Augen.
     
Die Stimme ihres Begleiters wiederholte noch einmal den Befehl, sie geschlossen zu halten. Einer kurzen Berührung ihrer Lippen durch einen sehr weichen Mund folgend, spürte sie ein Glas, das sich zwischen ihre Zähne schob und einen köstlichen Likör in sie ergoss. Sie trank fast gierig und leckte sich sogar die Lippen. Sie schmeckten süß und ein wenig nach der aufgetragenen Farbe. Doch als sie nach einem weiteren Schluck verlangte, legte sich ein Finger auf ihre Lippen und gebot ihr zu schweigen. Sie musste ein paar Schritte in den Raum hineingehen, bis er sie an eine Treppe führte, die hinaufzusteigen er ihr gebot, zwölf Stufen.
     
Auf der siebten Stufe bemerkte die Stimme: «Ich sehe, Sie tragen schwarze Wäsche und Strümpfe. Sie haben Geschmack bewiesen!» Sie freute sich über dieses Kompliment, obwohl er es völlig beiläufig ausgesprochen hatte. Während sie die letzten Stufen nahm, bemerkte sie den Hauch der sie nun überholenden Person, doch dann stießen sie auf dem Treppenabsatz zusammen. Sie wich unwillkürlich zurück, wurde aber sofort an den Händen gepackt und mitgezogen. Sie folgte gehorsam, überschritt wohl eine Schwelle und schien den Raum zu betreten, der offensichtlich der Ursprung des Melissenduftes war. Hinter ihr fiel leise die Tür ins Schloss und sperrte die letzten Geräusche des Alltags aus.
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