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Lügen & Liebhaber

Lügen & Liebhaber

Titel: Lügen & Liebhaber
Autoren: Susanne Fülscher
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an die Nacht mit Karl denken. Das war merkwürdig, denn eigentlich hatte ich die Bettgeschichte von vornherein auf dem Konto für einmalige Vergnügungen und ein bißchen auch als Racheakt an Adriano verbucht, aber nach und nach kamen mir Details in den Sinn, die zumindest einiger weiterer Überlegungen wert waren.
    Armknecht hatte mir als erster Mann in meinem Leben das Kopfkissen aufgeschüttelt und hingerückt und sich erst in die Decke gerollt, als ich schon wohlig schnurrend in der für mich bequemsten Haltung lag. Gut, er konnte einen übertriebenen Umsorgungskomplex haben, aber da gab es noch mehr, was mir gefallen hatte. Seine spontane, selbstverständliche Art, mit der er mich gefragt hatte, ob er bei mir übernachten dürfe – wobei ich ihm nicht mal bestimmte Absichten unterstellte –, außerdem kochte er gut und hörte einem zu, ohne permanent besserwisserische oder gar zynische Kommentare in Adriano-Manier abzulassen.
    Mein Blick fiel auf Caroli und Senta am Ende der Tafel. Ein Wunder der Natur, daß man so blasiert gucken konnte. Caroli mampfte unentwegt Kuchen, der sich sogleich in Form eines sonnenstudiobraunen Hautröllchens über ihrem silbrigen Hosenbund entlud. Senta machte vermutlich eine Diät oder war bereits der Magersucht verfallen, jedenfalls hing sie spillerig auf ihrem Stuhl und friemelte Nagellackreste von ihren Nägeln, wobei sie abwechselnd an ihnen herumpulte oder mit den Zähnen darauf herumschabte.
    Und diese beiden Geschöpfe sollten meine Halbschwestern sein! Es wunderte mich, daß sie überhaupt zu einer derart todlangweiligen Veranstaltung namens Kaffeetrinken mitgekommen waren. Während Caroli sich ein weiteres Stück Kuchen auf ihren Teller lud, holte Senta einen Walkman aus ihrer Plastiktasche mit der Aufschrift IchIchIch , steckte sich die Kopfhörerstöpsel in die Ohren, und fortan ließ ein unbarmherziger Techno-Rhythmus das Villeroy & Boch-Geschirr vibrieren.
    Zum Glück wurde die Kaffeetafel bald darauf aufgehoben. Mir tat nur meine Mutter leid, die sich ins Zeug gelegt hatte, um eine perfekte Gastgeberin zu sein, aber kaum waren alle Gäste abgefüllt und hatten meinen Bruder ausgehorcht, suchten sie auch schon das Weite. Ich blieb noch ein wenig, half beim Aufräumen, wobei ich unerwartete Neuigkeiten erfuhr. Zwischen Kuchen-Einfrieren und Geschirr-in-die-Spüle-Stellen gestand mir meine Mutter, daß sie einen Freund habe.
    »Einen was?« stieß ich idiotischerweise hervor.
    Mutter lächelte nur, erzählte dann, Herr Kichermann sei neunundfünfzig, arbeite als Kustos in der Hamburger Kunsthalle und habe wunderbare silbrige Koteletten.
    Ich erkannte meine Mutter nicht wieder. Wunderbare silbrige Koteletten – das war ja phantastisch!
    Und weil ich von der neuen Leidenschaft meiner Mutter so begeistert war, blieb ich noch ein Stündchen. Zur Feier des Tages köpften wir eine Flasche Sekt, und ich ließ mir in allen Einzelheiten berichten, wie sie ihren Liebhaber – Witwer und kinderlos – kennengelernt hatte. (Bei einer Führung anläßlich der Menzel-Ausstellung in der Kunsthalle. Blickkontakt. Später eine Tasse Tee im Café Liebermann …)
    Es war des Ereignis des Jahrhunderts. Seit mein Vater sie vor genau siebzehn Jahren verlassen hatte, um mit seiner Zweitfrau Caroli und Senta anzusetzen, hatte sie keinen Mann mehr an sich herangelassen, und ich fragte mich allen Ernstes, ob sie denn überhaupt noch wußte, wie das ging. Aber da sie so im Breitwandformat strahlte, war sie anscheinend noch auf dem laufenden, nur als ich von ihr in Erfahrung bringen wollte, wieso Herr Kichermann nicht zu meinem Examenskaffeeklatsch gekommen sei, blockte sie mit den Worten ab: »Du kennst ja die Verwandtschaft.«
    Natürlich kannte ich die Verwandtschaft. Nie hatte sie es skandalös gefunden, daß mein Vater uns damals in einer Nacht- und Nebelaktion sitzengelassen hatte, aber wehe, meine Mutter wagte es, wieder auf Männerschau zu gehen!
    Gegen zweiundzwanzig Uhr nahm ich den letzten Zug Richtungnorddeutsche Hauptstadt und gab meiner Ma noch den klugen Rat: Carpe sexum – was du gehabt hast, hast du gehabt.
    *
    Das Leben war in der Tat hart. Denn kaum hatte ich meine erste Traumphase zu fassen, riß mich das Telefonklingeln brutal aus dem Gefühl wunderbarer Schwerelosigkeit.
    »Adriano«, sagte eine Stimme, die verdammt nach Adriano klang.
    »Ach, hallo«, brachte ich schlaftrunken hervor und wurde sogleich mit Vorwürfen bombardiert.
    Er stehe gerade in einer Telefonzelle, es
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