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Lucy kriegt's gebacken

Lucy kriegt's gebacken

Titel: Lucy kriegt's gebacken
Autoren: K Higgins
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kratzen.
    Jorge spricht nicht. Er arbeitet schon jahrelang im Bunny‘s, ist irgendwas zwischen fünfzig und siebzig, glatzköpfig mit wunderschöner hellbrauner Haut und einer Tätowierung vom gekreuzigten Jesus auf dem Arm. Er hilft uns beim Putzen und den Auslieferungen, denn Bunny‘s beliefert verschiedene Restaurants in Rhode Island - mit meinem Brot, dem besten Brot des Landes.
    „Ich werde heute Abend die Brotlieferung zu Gianni‘s bringen, Jorge“, sage ich, als er beginnt, die Brotlaibe zu stapeln. Er nickt, steuert auf die Hintertür zu und bleibt dort einen Moment stehen. Das ist seine Art, Auf Wiedersehen zu sagen. „Schönen Nachmittag.“ Er lächelt, dass sein Goldzahn aufblitzt, und geht.
    Die Gefriertruhe summt, die schlecht funktionierenden Leuchtröhren über der Arbeitsfläche knistern, die Kühlöfen ticken. Davon abgesehen ist, außer meinem eigenen Atem, nichts zu hören.
    Bunny‘s befindet sich seit siebenundfünfzig Jahren in Familienbesitz. Gegründet von meiner Großmutter, kurz nachdem mein Großvater mit achtundvierzig Jahren starb, ist es seitdem immer von den Frauen der Familie geführt worden. Männer halten sich in unserer Familie nicht besonders lange, wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen sein mag. Nachdem mein eigener Vater starb, als ich gerade mal acht Jahre alt war, begann meine Mom, ebenfalls im Bunny‘s zu arbeiten, zusammen mit Iris und Rose. Und seit Jimmys Autounfall bin ich ebenfalls mit an Bord.
    Ich liebe die Bäckerei, und mein Brot ist der Beweis dafür, dass es einen Gott gibt, doch finde ich es nur fair zu sagen, dass ich unter anderen Umständen nicht hier arbeiten würde. Brot zu backen - so erfüllend das auch sein mag - ist nicht meine wahre Passion. Ich habe eine Ausbildung zur Konditorin gemacht, und zwar am fantastischen Johnson & Wales Culinary Institute in Providence, nur etwa eine halbe Stunde von Mackerly, unserer winzigen Insel südlich von Newport, entfernt. Nach der Prüfung bekam ich sofort einen Job in einem der eleganteren Hotels der Gegend. Doch nach Jimmys Tod hielt ich es einfach nicht mehr aus. Den Druck, den Lärm, die langen Arbeitstage … die Leute. Deswegen habe ich mich den schwarzen Witwen im Bunny‘s angeschlossen. Unglücklicherweise ist die Arbeitsaufteilung schon vor Jahren beschlossen worden - Rose ist für die Kuchen verantwortlich, Iris für süße Stückchen und Donuts, Mom für die Geschäftsführung. Da blieb für mich nur das Brot übrig.
    Brotbacken ist eine Zen-artige Kunst, die vom Rest der Welt nicht recht begriffen wird. Eine Kunst, die ich zu lieben gelernt habe. Jeden Tag um halb fünf fange ich an, den Teig zu mischen, zu kneten, gehen zu lassen und dann in den Ofen zu schieben. Danach lege ich mich gegen zehn Uhr wieder aufs Ohr und komme nachmittags zurück, um das Brot zu backen, das wir an die Restaurants liefern. Meistens bin ich dann gegen vier Uhr am Nachmittag wieder zu Hause. Dieser Zeitplan passt ganz gut zu dem unbeständigen Schlafrhythmus, den ich mir nach dem Tod meines Mannes angewöhnt habe.
    Ich stelle fest, dass ich nach einem weiteren Barthaar taste. Wo eines ist, können schließlich auch weitere sein. Nein. Alles scheint in Ordnung, aber ich werfe für alle Fälle noch einen Blick in den Badezimmerspiegel. Keine weiteren Haare, Gott sei Dank. Ich sehe ganz normal aus: rotblondes, zu einem Pferdeschwanz zusammengefasstes Haar, hellbraune Augen - Whiskeyaugen hat Jimmy sie immer genannt -, ein paar Sommersprossen. Ein freundliches Gesicht. Ich finde, ich würde eine wirklich niedliche Mutter für jemanden abgeben.
    Ich wollte immer eine Familie, immer ein paar Kinder haben. Von einem schwarzen Haar abgesehen deutet alles darauf hin, dass ich noch jung genug dafür bin. Oder nicht? Was, wenn Tante Rose recht hat und die Wechseljahre schon im Schatten lauern und nur darauf warten, sich auf mich zu stürzen? Heute ein Barthaar - und in ein paar Monaten muss ich vielleicht schon anfangen, mich regelmäßig zu rasieren. Meine Stimme wird sich verändern. Ich werde vertrocknen wie ein Laib Brot, der zu lange im Ofen geblieben ist. Was einmal schön und verheißungsvoll aussah, wird durch Nichtbeachtung zu einem harten und geschmacklosen Klumpen. Dieses Barthaar ist eine Warnung. Mensch! Ein Barthaar!
    Ich presse kurz meine Brüste zusammen. Puh. Die beiden Mädchen scheinen noch gut in Form zu sein, nichts hängt oder sackt nach unten. Ich bin noch jung. Bisschen reif vielleicht. Aber kann schon
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