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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes
Autoren: Emile Zola
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schlecht ... Ich bin sehr müde und will jetzt ruhig schlafen.«
    So blieb sie, den Kopf an seine Schultern gelehnt, und schlief sofort wie eine Schwester ein. Einen Augenblick hielt er sich in dem schmerzlichen Glück der Entsagung wach, das sie eben durchkostet hatten. Diesmal war es zu Ende, das Opfer war vollbracht. Er würde einsam, abgesondert von dem Leben der andern Männer, leben. Nie würde er das Leben kennenlernen, nie würde er einem lebenden Wesen das Dasein geben. Er hatte nur noch den tröstlichen Stolz dieses selbstgewollten Selbstmords, in den er sich in der traurigen Größe der außerhalb der Natur stehenden Existenzen gefügt hatte.
    Aber die Erschöpfung überfiel auch ihn, seine Augen schlossen sich, und er schlief ebenfalls ein. Dann glitt sein Kopf herab, seine Wange berührte die Wange seiner Freundin, die sehr sanft, die Stirn an seine Schulter gelehnt, schlief. Zweifellos suchte sie derselbe Traum des Glücks heim, denn ihre zärtlichen Gesichter hatten denselben Ausdruck des Entzückens angenommen. Es war die keusche und leidenschaftliche Hingabe, die Unschuld dieses Zufallsschlummers, der sie so einander in die Arme legte, mit verschlungenen Gliedern, die warmen Lippen nahe beieinander, wie Kinder, die in derselben Wiege liegen. Das war ihre Hochzeitsnacht, die Vollziehung der geistigen Ehe, in der sie leben sollten, eine köstliche Versunkenheit in das Nichts, kaum ein flüchtiger Traum mystischen Besitzes inmitten dieses Wagens voller Elend und des Leidens, der noch immer, noch immer durch die dunkle Nacht dahinrollte. Stunden, Stunden verflogen, die Räder knirschten, die Gepäckstücke schaukelten sich an den Haken, indes aus den eng aneinandergepreßten, zusammengekauerten Körpern nur die ungeheure Ermüdung aufstieg, die große körperliche Ermattung, die man sich im Lande der Wunder zugezogen hatte, da man den Seelen allzu viel zugemutet hatte.
    Endlich um fünf Uhr, als die Sonne aufging, fand ein plötzliches Erwachen statt. Dröhnend fuhr man in einen großen Bahnhof. Rufe der Beamten wurden laut, Türen öffneten sich, Leute stießen und drängten sich. Man war in Poitiers, und der ganze Wagen war in Bewegung unter Stimmengewirr, Schreien und Lachen.
    Die kleine Sophie Couteau stieg hier aus und verabschiedete sich. Sie umarmte alle Damen und kletterte sogar über die Scheidewand, um von Schwester Claire des Anges Abschied zu nehmen, die niemand seit dem vorigen Abend wiedergesehen hatte, als sie zart und schweigsam mit ihren geheimnisvollen Augen in ihrem Winkel verschwunden war.
    Dann kam das Kind wieder zurück, nahm sein kleines Bündel und zeigte sich namentlich Schwester Haycinthe. und Frau von Jonquière gegenüber sehr zärtlich.
    »Auf Wiedersehen, liebe Schwester, auf Wiedersehen, gnädige Frau... Ich danke Ihnen auch für all Ihre Güte.«
    »Sie müssen im nächsten Jahre wiederkommen, mein Kind.«
    »Oh, liebe Schwester, ich werde nicht verfehlen, das ist meine Pflicht.«
    »Und betragen Sie sich recht gut, liebe Kleine, führen Sie sich brav auf, damit die Heilige Jungfrau auf Sie stolz ist.«
    »Gewiß, gnädige Frau, sie ist gütig gewesen, und es macht mir großes Vergnügen, sie wiederzusehen.«
    Als sie auf dem Bahnsteig stand, beugten sich alle Pilger aus dem Wagen und folgten ihr mit glücklichen Gesichtern, grüßend und schreiend.
    »Auf nächstes Jahr, auf nächstes Jahr!«
    »Ja, ja, danke schön, auf nächstes Jahr.«
    Man sollte das Morgengebet erst in Châtellerault sprechen. Als der Zug nach dem Aufenthalt in Poitiers von neuem in dem leichten Morgenwinde dahinrollte, erklärte Herr von Guersaint mit seiner fröhlichen Miene, er habe trotz der Härte der Bank ausgezeichnet geschlafen. Auch Frau von Jonquière pries sich glücklich wegen dieser guten Ruhe, deren sie so sehr bedurfte, war aber dennoch ein wenig verwirrt, daß sie Schwester Hyacinthe allein bei der Grivotte hatte wachen lassen, die jetzt wieder, von ihrem gräßlichen Husten gepackt, in anhaltendem Fieber mit den Zähnen klapperte. Die anderen Pilger machten ein wenig Toilette, die zehn Frauen im Hintergrunde knüpften ihre Halstücher zu und banden mit einer gewissen Unruhe in ihrer traurigen, armseligen Häßlichkeit die Bänder ihrer Hauben zusammen. Elise Rouquet hörte, das Gesicht auf ihren Spiegel geheftet, nicht auf, ihre Nase, den Mund, die Wangen prüfend zu betrachten, sie bewunderte sich und fand, daß sie entschieden wieder sehr hübsch werde.
    Nun empfanden Pierre und
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