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Lösegeld am Henkersberg

Lösegeld am Henkersberg

Titel: Lösegeld am Henkersberg
Autoren: Stefan Wolf
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grüßen? Zum Teufel, ich erinnere mich nicht. Dieses Gesicht
wäre mir im Gedächtnis geblieben. Ah, vielleicht war der vorhin in der
Springflut-Gasse, als die Keilerei ablief.
    Tim wollte vielsagend grinsen, wurde aber
abgelenkt.
    Dem Busfahrer fiel der Briefumschlag
aus der Hand.
    Klatsch! — lag er auf der Straße.
    Beinahe wäre Weidrich hinterher
gepurzelt.
    Aber schon hatte Tim das Kuvert
aufgehoben und reichte es ihm hinauf.
    Dick fühlte es sich an, als wären
Geldscheine drin. Ja, Geldscheine !
    „Danke!“ sagte Weidrich und riß es Tim
aus der Hand. „Tag, Gaby! Willst du zu mir?“
    „Nachträglich noch herzlichen
Glückwunsch zum Geburtstag, Herr Weidrich“, sagte Gaby. „Ich habe eine kleine
Torte für Sie gebacken. Weil Sie immer so liebenswürdig sind. Wußten Sie, daß
man Sie zum nettesten Busfahrer gewählt hat? Sämtliche Fahrschüler haben
abgestimmt. Auf Ihre Wahl können Sie stolz sein.“

    Weidrich hatte ein teigiges Gesicht mit
Froschaugen und Stirnglatze. Sein Lächeln entblößte kleine Zähne.
    Hol mich der Henker! dachte Tim. Bin
ich vorurteilig? Oder verstehe ich nichts von den Menschen? Dieser Typ ist mir
unsympathisch. Aber das darf ich Gaby nicht sagen. Sonst heißt es wieder, ich
sei zu mißtrauisch — und eingebildet auf meinen Instinkt.
    „Das ist ja riesig nett von dir, Gaby“,
rief Weidrich und langte hinunter zum Tortenkarton.
    Hinter Tim fuhr der gelbe Porsche
vorbei. Der Bärtige blickte her und machte schmale Augen.
    Weidrich erging sich in Dankesworten.
Auch Tim gratulierte, aber gemessen. Gaby wickelte die Arme um sich. Sie fror.
    „Dann bis morgen früh“, meinte der
Busfahrer. „Bist du wieder dabei, Gaby, oder fährst du mit dem Rad zur Schule?“
    „Morgen bin ich dabei. Außerdem bringe
ich meine Freundin Alice mit. Sie ist zu Besuch und als Gastschülerin in unsere
Klasse eingeladen. Ab morgen, Herr Weidrich, fahren wir jeden Tag mit Ihnen.“
    Er nickte. Für einen Moment verfärbte
sich sein Gesicht. Es wurde fahl, als hätte er giftige Pilze gegessen.
    „Euer Schulbus, Gaby, wird pünktlich
sein wie immer. Also nochmals vielen Dank!“
    Als sie die Straße überquert hatten,
meinte Tim: „Offenbar ist Weidrich nicht nur bei den Schülern beliebt. Der
Bärtige hat ihm Geld zugesteckt.“
    „Geld?“
    „In dem Kuvert waren Geldscheine. Da
bin ich mir sicher.“
    „Alle Achtung!“ staunte Gaby. „Gegen
ein Geldgeschenk kann ich mit meiner Torte nicht antreten.“
    „Dein Geschenk kommt von Herzen. Nur
das zählt, Pfote. Der Bärtige hat weder gratuliert noch gelächelt. Ist
überhaupt ein seltsamer Typ. Aber uns kann’s egal sein.“

5. Ein alter Bekannter
     
    Ritschi Gernreich, der blonde Schläger,
stand hinter einem Mauervorsprung und beobachtete den Parkplatz.
    Einige Zeit war vergangen, seit man
ihn, Ritschi, aus Enricos Bande rausgeworfen hatte — und aus dem ,Halben Ohr’.
    Er hatte inzwischen seinen Mantel aus
dem Wagen geholt und sich den modischen Schlapphut auf die Ohren gedrückt.
    Hinter der gebräunten Stirn kreisten
böse Gedanken.
    Nein, so ließ er sich nicht
abservieren! So nicht! Die sollten sich wundern, diese eingebildeten Typen!
Schließlich hat doch jeder mal Pech. Schön, ihm mißglückte seit drei Wochen
alles, einfach alles. Aber seine Schuld war das nicht. Nein, nur Pech! Daß sie
ihn deshalb zum Teufel jagten, verzieh er denen nie.
    Er spähte. Döbbel, der Wirt, war mit
seinem gelben Porsche weggefahren. Vermutlich zu Weidrich. Der wollte Vorschuß.
Ritschi wußte Bescheid. Bei den Verhandlungen mit dem Busfahrer war er immer
dabei gewesen.
    Wann kam Döbbel endlich zurück?
    Ritschi zündete eine Zigarette an und
schnippte das Zündholz weg.
    Leute kamen und gingen. Ständig fuhren
Autos, aber deshalb wurde der Parkplatz — er war unbewacht — nicht leerer.
    Endlich! Döbbel kehrte zurück.
    Der gelbe Porsche rollte in die
hinterste Reihe. Meistens parkte er dort. Jetzt schob sich die schmale Gestalt
des Wirts durch die Reihen. Er verschwand im Seifensieder-Sträßchen, das direkt
auf die Springflut-Gasse führt, wo bekanntlich für Autos gesperrt ist.
    Ritschi grinste, spähte nach links,
vergewisserte sich nach rechts und stiefelte los.
    Seine Wut hätte gereicht für fünf
angreifende Nashörner. Seit sie ihn gedemütigt hatten, haßte er sie alle:
Enrico Vedmillia, Claus Gluschke und Gernot Döbbel, den Wirt. Aber nur Döbbel
fuhr ein teures Auto. Die andern sparten noch darauf.
    Neben dem Porsche blieb
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