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Lockruf Der Nacht

Lockruf Der Nacht

Titel: Lockruf Der Nacht
Autoren: authors_sort
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Prominenz. Und vielleicht, wer weiß …« Sie sieht mich verschwörerisch an »… ist ja dieses Mal Mr. Right dabei.«
    Ich nicke und gähne gleichzeitig. Das hoffe ich nämlich nun seit geschlagenen acht Jahren.
    »Schlecht geschlafen?«
    »Wenig geschlafen.«
    Lilith grinst und deutet es vollkommen falsch. Ich lasse sie in dem Glauben, eine aufregende Nacht mit dem betrunkenen Joe gehabt zu haben.
     
    Der Tag neigt sich Gott sei Dank dem Ende zu. Ich lasse meine Tasche und meinen Mantel direkt im Eingang auf den Boden fallen, ziehe meine Schuhe auf dem Weg in die Küche aus, lasse sie ebenfalls an Ort und Stelle liegen. Im Kühlschrank liegt noch ein halbaufgegessenes Sandwich von gestern. Ich beiße einmal ab und werfe es in den Müll. Es schmeckt irgendwie faulig.
    Ich fühle mich wie gemartert. Im Badezimmer entledige ich mich dem Rest meiner Klamotten und dann ist Multitasking angesagt. Abschminken, Zähne putzen, auf die Toilette gehen, alles mache ich gleichzeitig. Zuletzt ziehe ich mir noch ein übergroßes T-Shirt an und gehe hoch ins Schlafzimmer. Bevor ich mich in die kalten Laken schmeiße, greife ich noch nach dem Schlüssel und einem Zettel, der auf meiner Kommode liegt.
    Hm, wie charmant. Ich lese: Fuck yourself . Was bildet dieser kleine Wichser sich ein? Denkt er, er hat den einzigen Schwanz im ganzen Universum? Kurzerhand mache ich aus der pinkfarbenen Unverschämtheit Konfetti und lasse es auf den Boden rieseln.
    Noch eine Weile denke ich an `Not happy´ von heute, meine Freundin Lilith und die Vernissage von morgen. Dabei schlafe ich ein.
     
    Meine Mom steht im Garten und ist dabei, ein Loch in die Erde zu buddeln. Ihr langes, graues Haar ist an den Seiten geflochten und hinten zu einem Zopf gebunden. Sie trägt ihre weiße Lieblingsbluse und weite schwarze Cargohosen, völlig unpassend für die Gartenarbeit, denke ich, sage aber nichts. Sie liebt ihren Garten. Er ist voller bunter Blumen, Insekten und Schmetterlingen, die sich mit ihr unterhalten. In den Bäumen hängen zwischen großen, roten Früchten Puppenhäuser. Sie sind für die Vögel gedacht, die sie täglich besuchen. Es ist ein herrlicher Tag, die Sonne scheint und meine Mom ist gesund. Kein Krebs mehr.
    Ich umarme sie fest und freue mich, dass sie da ist. Erst jetzt sehe ich, dass neben dem Loch ein toter schwarzer Vogel liegt. Er hat viel zu lange Flügel für den kleinen Körper. Ich habe oft kranke oder aus dem Nest gefallene Vögel mit nach Hause gebracht, die meine Mom gesund gepflegt hat. Sie hatte immer ein Händchen für Tiere, besonders für Vögel.
    »Er hat nach dir gefragt und als du nicht gekommen bist, ist er gestorben.«
    »Wer?«
    »Der Vogel.«
    »Aber ich hab ihn dir doch gar nicht gebracht, warum sollte er dann nach mir fragen?« Ich erkenne keine Logik darin.
    Doch plötzlich hebt und senkt sich die kleine Brust des Vogels. »Er ist doch gar nicht tot, Mom.«
    Sie nimmt ihn hoch und legt ihn mir in die Hand. Dabei sehe ich erst jetzt, dass der Vogel einen Menschenkörper hat.
    Meine Mom ist keineswegs erstaunt darüber und zeigt zu den Puppenhäusern im Baum. »Du kannst ihn nicht behalten. Die anderen warten schon auf ihn. Lass ihn fliegen, Leia.«
    Ich hebe ihn in die Luft und er schlägt mit den Flügeln, erhebt sich und fliegt davon. Und anstatt kleiner zu werden, wird er immer größer. Einmal dreht er sich noch zu mir um und sieht mich an. Seine Augen sind stechend blau und wunderschön.
     

4.
    Nach dem Aufwachen versuche ich jeden Augenblick, den ich mit meiner Mom im Traum hatte, festzuhalten. Ich schließe die Augen und sehe sie vor mir. Träume sind wie Badewannenschaum. Für einen kurzen Augenblick kann man ihn in seinen Händen formen und im nächsten löst er sich in Nichts auf. Seit dem Tod meiner Mom habe ich bisher nicht ein einziges Mal von ihr geträumt. Ich denke es geht ihr gut, wo sie jetzt ist. In einem Garten voller Blumen.
    Ein weiterer Eintrag in mein Buch.
    Ich habe schon immer viel geträumt. In meinen Träumen kann ich stepptanzen, besser als Gregory Hines, Piano spielen, rückwärts Eislaufen, fliegen und unendlich viele Pirouetten drehen, ohne dass mir schlecht wird. Alles, was ich im Leben gerne können möchte, aber nicht kann.
    Die Beschreibung meines Traumes fällt mir nicht ganz leicht. Es liest sich hinterher platt und fühlt sich so ohne Leben an. Keine Worte können die Stimmung und die Farben eines Traumes richtig einfangen. Enttäuscht klappe ich das Buch zu, um es
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