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Lockruf Der Nacht

Lockruf Der Nacht

Titel: Lockruf Der Nacht
Autoren: authors_sort
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wieder ein, wie er die Karte zwischen die zwei Pampelmusen gesteckt hat und verwerfe den Gedanken wieder.
    Die seltsame Sache mit Lilith versuche ich erst einmal zu verdrängen und gehe einer anderen Sache nach. Ich rufe bei sämtlichen Nervenheilanstalten in Connecticut und Umgebung an, um dort nach Vera Walsh zu fragen. Bei der siebten Institution habe ich schließlich Glück. Ich schreibe mir die Adresse auf und frage nach den Besuchszeiten.
    Meine Tante war zwei Jahre jünger als meine Mom, die jetzt zweiundfünfzig wäre. Außer dem Sofa, ein paar Schmuckstücken, dem seidenen Kimono mit den Kirschblüten und eine kleine Kiste mit Fotos und Briefen habe ich nichts von meiner Mom behalten. Aber genau der Inhalt dieser kleinen Kiste könnte vielleicht über das eine oder andere Aufschluss geben.
    Sie steht völlig verstaubt hinter meinen eigenen Fotokisten, hoch oben in einem Regal in meinem Kleiderschrank. Ich setze mich mit dem Schuhkarton auf den Boden und kippe den gesamten Inhalt vor mir aus, dabei fällt mir eine Unebenheit unter der Kommode auf. Es ist ein kleiner Stofffetzen mit bräunlichen, unregelmäßigen Flecken. Sieht nach eingetrocknetem Blut aus. Eins ist sicher, zu meiner Garderobe gehört er nicht, aber zu wessen dann? Wer war hier oben und … ich beende abrupt den Gedanken, weil mir dazu nur einer einfällt. Joe. Was ist nur in dieser besagten Nacht hier in meinem Schlafzimmer passiert?
    Ich will jetzt nicht weiter darüber nachdenken, weil es mir Angst macht und widme mich den Absendern auf den Briefen, die seit einem Vierteljahrhundert in dieser Kiste liegen.
    Darunter ist meine Großmutter, mein Vater, der anscheinend noch aus Italien geschrieben hatte, ein paar von Eric Milner und einer überraschenderweise von Vera. Alte Briefmarken sehen mich aus den Ecken des vergilbten Papiers an. Die Zeit hat diese schöne Art sich zu schreiben aus den Köpfen der Leute gefegt. Heute schreibt man sich keine Briefe mehr, nur noch SMS und E-Mails. Warum bin ich nicht schon eher mal auf den Gedanken gekommen, hier nach ein paar Antworten zu suchen?
    Eric Milner war die große Liebe meiner Mutter. Seitenweise hat er ihr romantische Briefe geschrieben, wie man es nur früher konnte, glaube ich, oder Eric war ein Poet. Heute würde das alles abgedroschen und blöd klingen.
    Ein Anruf von Mara holt mich in meine Welt zurück. Sie will mich zu einem kleinen Sit-in bei sich einladen. Ich sage für später zu und kriege einen Riesenschrecken, als ich sehe, dass es schon auf den Nachmittag zugeht.
    Schnell packe ich alles in die Box und stelle sie an ihren Platz zurück. Das kleine Stückchen Stoff stopfe ich in die Tasche eines Blazers. Ich werde mich später darum kümmern. Dann mache ich mich auf den Weg nach Ocean Beach.
     
    Als ich vor dem Haus parke, das zum Verkauf steht, ist es Punkt sieben Uhr und ein Gewitter zieht auf. Irgendwo in der Ferne höre ich den Donner grollen und strahlende Feuerblitze zucken durch den Himmel. Ich gehe gerade eine Runde um das Haus, das ziemlich düster und unbewohnt aussieht, als mich die ersten schweren Tropfen wie kleine Wasserbomben treffen.
    Zurück im Wagen höre ich Musik und denke an Mo. Jetzt, wo ich mit Yven alles geklärt habe, kommt er hoffentlich wieder zu mir.
    Als nach zwanzig Minuten immer noch niemand aufgetaucht ist, rufe ich die Nummer des Eigentümers an, die in der Mail stand, doch es springt nur die Mailbox an. Na, Klasse! Nach einer halben Stunde bin ich mit meiner Geduld am Ende. Ich starte den Wagen, wende auf der kleinen Einfahrt und fahre wieder Richtung nach Hause. Ich ärgere mich über die verlorene Zeit. Warum können die Leute nicht anrufen, wenn ihnen etwas dazwischen kommt und sie einen Termin nicht einhalten können?
    Die Straßen sind wie leer gefegt. Nur ein Wagen ist beständig hinter mir. Egal, ob ich rechts oder links abbiege, er scheint mir zu folgen. Mein erster Gedanke gilt Mo. Hat er mich hier herausgelockt, weil er mich treffen wollte? Durch die Scheiben kann ich nichts erkennen, weil erstens der Regen so stark geworden ist, dass die Scheibenwischer auf höchster Stufe arbeiten müssen, um die Sicht freizuhalten und zweitens der andere Wagen getönte Scheiben hat.
    Ich will gerade an den Rand fahren, um zu sehen, ob mein Schatten an mir vorbeifährt, als der Motor hinter mir aufheult und die Scheinwerfer auf mich zukommen. Es gibt einen Knall und ich fliege nach vorne. Dabei trifft meine Stirn schmerzhaft auf das Lenkrad auf. Mein
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