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Lockruf Der Leidenschaft

Lockruf Der Leidenschaft

Titel: Lockruf Der Leidenschaft
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bereitete ihrem verwirrenden Vortrag ein jähes Ende und brachte Nicholas wieder zur Besinnung. Sie würde schlichtweg erfrieren, wenn er sie hier auf der Straße zurückließ - falls sie sich nicht ohnedies bereits eine Lungenentzündung eingehandelt hatte. Er wollte nicht für ihren Tod verantwortlich sein, deshalb war es wohl besser, sie suchten erst einmal Obdach; dann bliebe immer noch genug Zeit zu entscheiden, was er mit ihr tun sollte.
    »Wo sind wir hier eigentlich?« Er spähte in das neblige Dunkel, konnte aber nichts entdecken, was ihm bekannt vorkam.
    »In der Nähe der Gracechurch Street«, lautete die prompte Antwort. »Cornhill liegt da vorn.« Sie zeigte geradeaus. »Vielleicht finden wir dort eine Mietdroschke. Falls es denn einen Kutscher gibt, der bereit ist, in dieser scheußlichen Nacht seinem Gewerbe nachzugehen.« Er blickte auf ihre nackten Füße hinunter. »Kannst du noch so weit gehen?«
    Polly zuckte die Achseln. »Das werde ich wohl müssen, nicht?« Sie ging eilig die Gasse hinauf - eine höchst merkwürdige Gestalt in einem schmuddeligen, fadenscheinigen Hemd und einem Herrenjackett, das zottelige, ungekämmte honigblonde Haar im Wind flatternd. Ich kann von Glück reden, wenn ich einen Droschkenkutscher finde, der bereit ist, solch ein buntscheckiges Geschöpf mitzunehmen, dachte Nicholas düster. Sie sah aus, als ob sie aus dem Tollhaus entflohen wäre! Nun, zugegeben, er selbst kam sich mittlerweile ebenfalls schon fast so vor. Schnellen Schrittes marschierte er hinter ihr her.
    Es waren nur wenige Menschen unterwegs, doch Nicholas, stets auf der Hut vor Straßenräubern, behielt seine Hand auf seinem Degenheft. Nach einer Weile erreichten sie Cornhill, wo Polly stehen blieb. Mit einer abrupten Handbewegung strich sie sich über die Augen - eine Geste, die Nicholas nicht entging. Es war zu dunkel, als dass er das Ausmaß ihrer Erschöpfung hätte erkennen können, doch von ihrer Energie und Lässigkeit war inzwischen nichts mehr zu spüren. Besorgt blickte er die Straße hinauf und hinunter. Noch nicht einmal die Laterne eines Fackelträgers drang durch den Nebel.
    »Verdammt, du hättest wohl wenigstens deine Schuhe mitnehmen können!« Das gereizte Gemurmel rief ein hartes Schlucken bei seiner Begleiterin hervor, doch Nicholas war zu sehr in Sorge um ihre körperliche Verfassung, um sich große Gedanken um ihre verletzten Gefühle zu machen. Plötzlich schallte das Trappeln von Pferdehufen durch die Nacht. Nicholas trat auf die Straße hinaus. Eine Kutschenlaterne flackerte in der Ferne, ein tanzendes Irrlicht in der neblig trüben Finsternis. Winkend und rufend lief Nicholas auf das Fahrzeug zu und betete inbrünstig, es möge eine öffentliche Mietdroschke sein, damit er nicht gezwungen wäre, sich auf Gnade oder Ungnade irgendeinem spätnächtlichen Reisenden auszuliefern, der einem offenbar völlig unbedarften, von der Nacht überraschten Gentleman und einem mehr als spärlich bekleideten weiblichen Wesen zu Recht misstrauisch gegenüberstünde. »Was gibt's, Sir? Was wollt Ihr?« Die dick vermummte Gestalt auf dem Kutschbock schwankte leicht, und die Stimme klang schleppend. »Is' wirklich kein Vergnügen, in so 'ner Nacht draußen unterwegs zu sein.« Der Mann hob eine Flasche an die Lippen und trank einen kräftigen Zug, dann befiel ihn ein Schluckauf. »Ich will Eure Dienste«, erwiderte Nicholas schroff und öffnete die Droschkentür. Er wandte sich um, um nach Polly zu rufen, bevor der Kutscher seine Pferde antreiben und ohne sie davonfahren konnte, doch Polly stand bereits neben ihm. Unsanft schob er sie in die Droschke. »Eine Guinea für Euch, wenn Ihr uns nach Charing Cross bringt, guter Mann.«
    »Ich mach keine Tour mehr, ich will jetzt in mein Bett!«, protestierte der Kutscher trotz der in Aussicht gestellten großzügigen Entlohnung. »Falsche Richtung.«
    Nicholas stellte einen Fuß auf das Trittbrett und schwang sich gewandt auf den Kutschbock. »Entweder Ihr fahrt uns, oder ich tue es!« Die Drohung in seiner Stimme war so unmissverständlich, dass der Kutscher notgedrungen nachgab und unter grimmigem Gebrummel seine Pferde wendete.
    Polly saß im stockfinsteren, eisigen Inneren des Gefährts, wo sich der Geruch nach Zwiebeln und ungewaschenen Körpern mit dem von schalem, abgestandenem Bier und muffigem Leder zu einem Übelkeit erregenden Aroma vereinte. Sie rieb sich ihre wund gescheuerten, halb erfrorenen Füße, während die Droschke schaukelnd und
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