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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller
Autoren: In einer zaertlichen Winternacht
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Samt sowie modische Hüte getragen und sich in Kutschen mit
livrierten Fahrern und Lakaien fortbewegt.
    Wenn sie
nur daran dachte, errötete sie vor Scham.
    So hatte
sie gelebt, bevor sie in Ungnade gefallen war. Bevor Clay sie als
Nachlasspflegerin des Vermögens ihrer Großmutter so gut wie enterbt hatte.
    Lincolns
Blick fiel auf den Brief. »Schlechte Nachrichten?« Mit den hohen Wangenknochen
und dem rabenschwarzen Haar sah er aus, als würde indianisches Blut durch seine
Adern fließen.
    Der Zug
pfiff noch einmal triumphierend. Er war pünktlich in den wackligen kleinen
Bahnhof am Stadtrand eingefahren. Die Passagiere würden aus- und einsteigen.
Post und Fracht würde auf- und abgeladen werden. Anschließend würde die Lok
wieder aus dem Bahnhof tuckern, eine Reihe ratternder Waggons im Schlepptau.
    Es dauerte
eine volle Woche, ehe der nächste Zug kam.
    Bis dahin
blieb Juliana und den Kindern nichts anderes übrig, als auf die Barmherzigkeit
der Stadtbewohner zu hoffen. In einer größeren Stadt hätte sie sich vielleicht
an die Kirche wenden können, aber Stillwater Springs hatte keine. Die Gläubigen
trafen sich sporadisch in dem nur für Weiße zugelassenen Schulgebäude, wenn
der Wanderprediger in der Stadt war.
    Juliana
schluckte. Am liebsten hätte sie geweint, doch sie war wild entschlossen, sich
nicht gehen zu lassen. »Ich fürchte, es sind wirklich schlechte Nachrichten«,
gestand sie zögerlich.
    Mr Creed
umfasste sanft ihren Ellbogen, schob sie zu einem der leeren Holzstühle vor dem
großen Ofen und drückte sie darauf. »Ist jemand gestorben?«, fragte er.
    Benommen
schüttelte Juliana den Kopf.
    Was sollte
sie bloß tun? Ohne Geld konnte sie keine Zugfahrkarten für sich und die Kinder
kaufen, geschweige denn eine Unterkunft bezahlen.
    Mr Creed
blickte zu den Kindern, die mit dem Rücken zu ihr aufgereiht vor dem
Schaufenster mit dem dürren, trotzdem prächtig geschmückten Christbaum
warteten. Sehnsüchtig betrachteten sie das hübsche Spielzeug, das an den
Zweigen hing und unter dem Baum lag.
    »Ich
schätze, Sie sind die Lehrerin der indianischen Schule«, mutmaßte er.
    Mr Willand,
der Besitzer des Gemischtwarenladens, räusperte sich laut.
    Julianas
Herz zog sich zusammen, während sie die Kinder betrachtete. Mr Willand ließ sie
ebenfalls nicht aus den Augen. Wie so viele Menschen ging er davon aus, dass
sie bei der erstbesten Gelegenheit etwas klauen würden – einfach weil sie Indianer
waren. Inzwischen gelang es ihr, dieses diskriminierende Verhalten einigermaßen
zu ignorieren.
    »Ja«,
antwortete sie. »Oder zumindest war ich das. Doch die Schule ist jetzt
geschlossen.«
    Lincoln
Creed fixierte Mr Willand eindringlich, dann nickte er langsam. »Ich fand es
schade, das zu hören.«
    »Seit du
letzte Woche hier warst, Lincoln, ist kein Brief gekommen«, meldete sich
Willand geradezu hämisch zu Wort. Die Luft in dem überhitzten kleinen Laden
schien vor gegenseitiger Abneigung zu knistern. »Schätze, du könntest noch hier
warten, ob der Zug etwas gebracht hat, aber du hast mit den ganzen Zeitungsannoncen
wohl einfach nur dein Geld zum Fenster rausgeworfen.«
    »Jedem tut
es leid, Mr Creed«, sagte Juliana leise, »dennoch ist offenbar niemand bereit
zu helfen.«
    Abgelenkt
von Mr Willands Kommentar, antwortete Lincoln nicht sofort.
    Juliana
stand auf. Doch als sie daran dachte, wie aussichtslos ihre Situation war, sank
sie schwerfällig wieder auf den Stuhl. Alle Kraft war aus ihren Beinen
gewichen. Vielleicht weil sie die zwei Meilen von der Schule in die Stadt mit
all ihrer Habe in einer abgewetzten Tasche zu Fuß gegangen war. Die Kinder
hatten ihre geschnürten Bündel unter den Arm geklemmt. Jetzt lagen sie zusammen
mit ihrer Tasche auf dem Gehsteig vor dem Gemischtwarenladen.
    »Es wird einen
Sturm geben, Miss ... Mitchell«, meinte Lincoln Creed. »Und es ist kalt und
wird immer kälter, außerdem wird es bald dunkel. Da ich draußen kein Fahrzeug
gesehen habe, gehe ich davon aus, dass Sie zu Fuß in die Stadt gekommen sind.
Meine Kutsche steht vor der Tür. Es wäre mir eine Freude, wenn ich Sie und die
Kinder irgendwohin bringen könnte.«
    Irgendwohin
bringen? Wir können nirgendwohin.
    In
Stillwater Springs gab es ein Hotel und mehrere Pensionen, doch selbst wenn
Juliana Geld gehabt hätte, um eine Unterkunft zu bezahlen, hätte niemand die
Kinder aufgenommen.
    Sie hatten
sich sehr beeilt, um Stillwater Springs noch vor der Abfahrt des Zugs zu
erreichen. Und die ganze
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