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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Anbaugebiet und vor langer Zeit einmal hatte er auch der Familie gehört. Immer wieder war der Gedanke aufgetaucht, ihn von der Gemeinde zurückzukaufen. Doch neben dem Preis gab es noch ein anderes Problem, das im Raum stand: Wer sollte ihn übernehmen? Franziska war jetzt schon am Rande ihrer Kräfte. Und Sabrina …
    »Ich glaub das einfach nicht«, sagte sie. »Du hast das hinter meinem Rücken entschieden?«
    »Es war eine einmalige Gelegenheit«, rechtfertigte sich Franziska. »Kreutzfelder hat sich mit seiner Beteiligung in Rheinhessen übernommen. Er hat sein Angebot zurückgezogen. Das war der Moment, auf den ich gewartet habe.« Mit leuchtenden Augen trat sie einen Schritt näher. »Sabrina, das ist dein Berg. Der Dobersteiner Rosenberg. Ich schenke ihn dir zum Geburtstag. Und du darfst ihm einen Namen geben. Wie wäre es mit Dobersteins Jüngster?«
    Wieder hielt sie ihr die Urkunde entgegen.
    Doch Sabrina trat einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände. »Ich will das nicht! Du kannst mir doch nicht einfach über meinen Kopf hinweg einen Weinberg kaufen!«
    »Pachten«, antwortete ihre Mutter mit tonloser Stimme. Erst jetzt schien sie zu bemerken, dass ihr Geschenk eine andere Wirkung zeigte, als sie wohl erhofft hatte. »Ich habe ihn nur gepachtet. Für dreißig Jahre.«
    »Dreißig Jahre!« Sabrina hatte Tränen in den Augen. »Ich bin sechzehn, Mama. Das ist fast doppelt so lange, wie ich auf
der Welt bin. Du klaust mir mein Leben, verstehst du das denn nicht?«
    Sabrina konnte nicht begreifen, dass all die Diskussionen der letzten Monate nichts genutzt hatten. Die Urkunde war wie ein Gerichtsurteil, gegen das sie noch nicht einmal Berufung einlegen konnte. Ihre Mutter stellte sie einfach vor vollendete Tatsachen und sie wurde noch nicht einmal gefragt.
    Franziska Doberstein senkte den Kopf. Sie ging zu der kleinen Mauer aus Feldsteinen, die die Straße zum Hang hin abgrenzte. Dort blieb sie stehen und sah hinauf bis zum Gipfel der schrundigen Lavaberge, zu denen sich die Terrassen der Weinhänge in sanften Wellen hochgegraben hatten. Er war ihr Sehnsuchtsberg. Wenn sonst schon nichts heil war in ihrem Leben, dann sollte wenigstens der Anbau wieder eins sein. Sabrina konnte das verstehen. Aber sie wollte nicht die Sehnsüchte ihrer Mutter ausbaden.
    »Ich gehe schwimmen«, sagte sie nur. »Damit ich von meinem Geburtstag wenigstens ein bisschen was habe.«
    Ihre Mutter nickte, drehte sich aber nicht um. Verdammt. Musste sie immer diese schreckliche Kümmer-dich-nichtum-mich-ich-schaff-das-schon-Tour fahren? Damit erreichte sie nur, dass Sabrina sich wie eine Verräterin fühlte. Ein tolles Gefühl für so einen Tag. Aber genau genommen hatte er ja schon ziemlich mies begonnen. Dann musste man ihn wenigstens nicht so enden lassen.

ZWEI
    Krippe 8 befand sich zwischen der Namedyer Werth, einer ehemaligen Flussinsel, und Andernach. Sie lag auf der linken Rheinseite, also genau gegenüber von Leutesdorf. Wenn nicht gerade das Echo der Züge, Autos oder Motorschiffe einen Heidenlärm machte, konnte man sogar über den Rhein hinüberrufen. Früher, als die Winter so kalt waren, dass sogar die Luft knackte, lief man einfach auf die andere Seite. Oder man benutzte die Fähre, die irgendwann eingestellt wurde, weil mittlerweile jeder ein Auto besaß und lieber einen 30 Kilometer langen Umweg über die Brücke von Neuwied in Kauf nahm. Am Wochenende konnte man manchmal auf die Ausflugsdampfer von Andernach zum Geysir aufspringen. Die machten einen Abstecher quer über den Rhein, um Touristen aus Leutesdorf abzuholen. Aber an diesem Tag war kein Wochenende, also nahm Sabrina den Bus. Es war schon erstaunlich, dass man fast eine Stunde unterwegs war, um in eine Stadt zu kommen, die in einer Luftlinie von nicht einmal 300 Metern lag.
    Krippe 8 war die letzte der Badebuchten flussaufwärts. Die blumengeschmückten Uferpromenaden von Andernach endeten an den Basalteisbrechern und dem Alten Krahnen, einem runden Turm aus dem 16. Jahrhundert. Dahinter begann das Naturschutzgebiet der Werth, einer Insel, die vor langer Zeit schon zum Festland hin aufgeschüttet worden war. Hier durfte der gezähmte Fluss für ein paar Kilometer wieder wilder werden und formte sich sein Ufer selbst. Die letzte Krippe lag kurz vor der zugewucherten Einmündung eines stillen, fast vergessenen Seitenarms. Ihr sichelförmiger Sandstrand fiel flach in den Rhein. Silberweiden säuselten sanft im Wind, ihre langen Äste hingen herunter
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