Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life
Autoren: Keith Richards
Vom Netzwerk:
Doris sagt: »Spitfire.« Der Krieg war da schon vorbei, aber wo ich aufwuchs, brauchte man sich bloß umzudrehen, und man sah
den Horizont, Brachland, Unkraut und vielleicht ein oder zwei einzelne Häuser, die wie durch ein Wunder den Krieg überlebt hatten und an einen Hitchcock-Film erinnerten. In unserer Straße kam eine Fliegerbombe runter, aber da waren wir gerade nicht zu Hause. Doris erzählte, dass das Ding am Bordstein entlanghüpfte und jeden tötete, der sich links und rechts von unserem Haus befand. Ein oder zwei Backsteine landeten in meinem Gitterbett. Das war der Beweis, dass Hitler mir im Nacken saß. Danach wandte er sich Plan B zu. Seit dieser Geschichte hielt meine geliebte Mum Dartford für nicht ganz ungefährlich.
    Als mein Vater Bert einberufen wurde, waren Doris und er von Walthamstow nach Dartford in die Morland Avenue gezogen, um näher bei meiner Tante Lil zu sein, Berts Schwester. Lils Angetrauter war ein Milchmann, den eine neue Tour hierherverschlagen hatte. Nachdem dann die Bombe in unserem Teil der Morland Avenue eingeschlagen hatte, war meinen Eltern unser Haus nicht mehr sicher genug, und wir zogen bei Lil ein. Einmal, als wir nach einem Luftangriff aus dem Schutzraum kamen, stand das Dach von Lils Haus in Flammen. Trotzdem hauste die gesamte Familie nach dem Krieg dort zusammen, in der Morland Avenue. In meinen frühesten Erinnerungen steht unser altes Haus noch, aber ein Drittel der Straße war bereits ein einziger mit Gras und Blumen überwucherter Krater. Das war unser Spielplatz.
    Eine andere von Doris’ Versionen besagt übrigens, dass ich im Livingstone Hospital zur Welt gekommen bin, just als das Heulen der Sirenen Entwarnung signalisierte. Bleibt mir nur, ihr zu glauben. Vom ersten Tag an habe ich nun wirklich nicht mitgeschrieben.
    Als sie von Walthamstow nach Dartford zog, hatte meine Mutter gedacht, jetzt hätte sie einen sicheren Platz aufgetan. Sie schaffte uns also ins Darenth Valley - mitten in die »Bomb Alley«, die Route
der feindlichen Bomber nach London. Dort befanden sich die Chemiefabrik Burroughs Wellcome und das größte Werk von Vickers-Armstrongs was es zu einer wunderbaren Zielscheibe für Angriffe machte. Obendrein lag Dartford auch noch in der Gegend, wo den deutschen Piloten allmählich der Arsch auf Grundeis ging, wo sie einfach ihre Bomben abwarfen und wieder umkehrten. »Jetzt wird’s mir langsam zu heiß hier.« Und WUMM. Ein Wunder, dass uns keine erwischte. Beim Heulen einer Sirene stellen sich mir noch heute die Nackenhaare auf, was sicher daran liegt, dass ich laufend mit Mum und der ganzen Familie im Schutzraum hockte. Wenn irgendwo eine Sirene aufheult, kommt diese instinktive Reaktion, ganz automatisch. Und ich höre das Geräusch oft, weil ich mir viele Spielfilme und Dokumentationen über den Krieg anschaue. Jedes Mal ist sofort das Kribbeln wieder da. Immer.
    Meine frühesten Erinnerungen sind die Nachkriegsbilder, die alle Londoner im Kopf haben. Schuttlandschaften, halb verschwundene Straßen, von denen manche noch zehn Jahre später nicht anders aussahen. Für mich lag die wichtigste Bedeutung des Krieges in einer simplen Redewendung: »vor dem Krieg«. Schließlich hörte man die Erwachsenen dauernd darüber reden. »Tja, vor dem Krieg war alles anders.« Ansonsten hatte er keine besonderen Auswirkungen für mich. Klar, es gab keinen Zucker, keine Bonbons und Süßigkeiten, was schätzungsweise gar nicht mal schlecht war, auch wenn es mich nicht gerade glücklich machte. Ob später als Erwachsener auf der Lower East Side oder damals in dem Süßigkeitenladen in East Wittering, nicht weit von meinem Haus in West Sussex - ich hatte schon immer Probleme, an Stoff zu kommen. Das ist der einzige Dealer, bei dem ich heute noch Kunde bin: der Candies Sweet Shop. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich mit meinem Kumpel Alan Clayton, dem Sänger der Dirty
Strangers, morgens um halb neun mit dem Wagen da rübergefahren bin. Wir waren die ganze Nacht auf gewesen und hatten plötzlich Gelüste auf Süßes verspürt. Wir mussten eine halbe Stunde warten, bis der Laden öffnete. Wir kauften Lollis, Karamellbonbons, Lakritz und Schwarze-Johannisbeer-Drops. Klar, dass wir uns nie dazu herabgelassen hätten, unseren Stoff im Supermarkt zu kaufen.
    Der Umstand, dass ich mir bis 1954 keine Tüte Bonbons kaufen konnte, sagt viel über die Turbulenzen und Veränderungen, die nach einem Krieg noch Jahre andauern. Der Krieg war seit neun Jahren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher