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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland
Autoren: Wladimir Kaminer
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    Es muss also immer an der Umgebung liegen, wenn wir uns nicht verstehen. Diejenigen, die an der Autobahn groß geworden sind, kreischen; wenn sie in der Steppe auf die Welt kamen, wird der Wind zwischen ihren Zähnen pfeifen, und wenn sie nahe am Wasser aufwuchsen, würde ein
aufmerksamer Zuhörer das Rauschen des Meeres in ihrem Sprechen erkennen. Die Umgebung ist schuld daran, dass die Franzosen nuscheln und die Engländer miauen. In leisen Ländern sind die Menschen in der Regel schweigsam, in lauten umgekehrt gesprächig, und viele Völker aus vogelreichen Ländern machen es ihren Vögeln nach. Die Chinesen zwitschern wie die Spatzen, und die Russen gurren, aber nicht alle und nicht überall. Großstadtrussen kreischen nämlich ganz laut und machen Fabrikgeräusche – eine Folge der Turboindustrialisierung. Die Russen aus dem Süden singen wie die Sachsen, und die Kasachen aus der Steppe kauen so komisch beim Sprechen, als hätten sie Sand im Mund.
    Neulich unterhielt ich mich bei der Russendisko mit meinem DJ-Kollegen Juri auf Großstadtrussisch, als wir von einer Landsfrau, einer Russin aus Usbekistan, angesprochen wurden.
    »Sagt mal, Jungs«, fragte sie uns, »das, was ihr sprecht, was ist das für eine Sprache?«
    »Das ist Russisch«, sagten wir.
    »Ich habe es mir fast gedacht«, nickte die Dame. »Es hat sich auch wie Russisch angehört. Aber warum habe ich dann kein Wort verstanden?«
    Wir wunderten uns ebenfalls.
    Bei mir zu Hause hat sich die Sprache noch weiter entwickelt. Meine Tochter berlinert nämlich, wenn sie mit mir auf Russisch über die Einzelheiten des Zeltens in Brandenburg spricht. Aber wie sich Berlinerisch auf Russisch anhört, kann ich hier leider nicht wiedergeben.

Wettbewerb
    Die Fremdenfeindlichkeit der Deutschen lässt sich leicht bekämpfen, nämlich durch Fütterung. Sie schimpfen über die Ausländer, aber wenn sie von ihnen etwas zu essen bekommen, schimpfen sie weniger. Sie können die aufgeblasenen Amerikaner eigentlich überhaupt nicht leiden, aber für Hamburger und Chickenwings drücken sie beide Augen zu. Die temperamentvollen Türken und zurückhaltenden Vietnamesen haben ebenfalls wichtige gastronomische Aufgaben zu erfüllen: Die einen sind für würzige Kebab-Gerichte, die anderen für scharfes asiatisches Essen zuständig. Der Inder macht das beste Curry, der Italiener backt Pizza. So richtig eng kann es nur bei Ausländern werden, die nicht kochen können. Die sollten sich schleunigst ein paar Rezepte für leckere Sachen aus ihrer Heimat besorgen, denn Fremde, die nicht kochen, werden nicht geduldet. Es sei denn, man ist ein Russe.
    Der Russe genießt in Deutschland einen Sonderstatus, er wird geliebt, obwohl er kein Essen zubereiten kann, jedenfalls kein gutes. Er kocht nicht, er sät nicht und erntet nicht. Er ist für die geistige Nahrung zuständig. Der Russe singt, tanzt und spielt Akkordeon – unter anderem in den
unzähligen Unterführungen der deutschen Großstädte. Er unterhält, während die anderen kochen. Dafür lieben ihn die Deutschen, besonders die deutschen Frauen, weil die Frauen grundsätzlich mehr für die Kultur als fürs Essen empfinden.
    Wenn ich mit Deutschen über meine Heimat rede, höre ich fast ausschließlich Lob. »Oh, dieser Dostojewski! Oh, Tolstoi! Oh, diese Mafia! Und die geheimnisvolle russische Seele …« Die wirkte schon immer auf die Deutschen wie eine Schlange auf Kaninchen. Goethe hat sie besungen und Rilke ebenfalls, Dschingis Khan, Boney M. und nicht zu vergessen Ivan Rebrov sowie die Sängerin Alexandra mit dem Hit »Schwarze Balalaika«, dem eindrucksvollsten Schlager deutscher Sprache, den ich jemals gehört habe. In ihm erzählte die Sängerin von einer unheimlichen Begegnung mit einem jungen Russen namens »Sascha«, der direkt aus der Taiga zu ihr kam. Dieser Sascha hatte nichts an, außer einer schwarzen Balalaika, die er sich ans Herz presste. Er verdrehte Alexandra völlig den Kopf, liebte sie leidenschaftlich und schenkte ihr zum Abschied seine Balalaika, bevor er zurück in seine Schneewüste ging. Ein sehr romantisches Lied. Ich glaube, es diente vielen Russen als eine Art Gebrauchsanweisung für Deutschland, aber nicht alle waren so erfolgreich wie Alexandras Sascha. Daran erinnern unzählige Balalaikas verschiedener Farbe und Größe in den Schaufenstern der hiesigen Musikläden, die mit gebrauchten Instrumenten handeln.
    Die erhöhte russische Geistigkeit ist kein bloßer Mythos. Russen singen
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