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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland
Autoren: Wladimir Kaminer
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preiswerter. Nur zu verständlich, dass sie nicht nach Hause gehen wollten.
Mich haben sie immer mit neuen Platten versorgt. Ich bin mit ihnen zum Bahnhof Friedrichstraße gegangen. Dort in den Schließfächern hatten sie die Musik gebunkert. Billy Idol kostete hundertfünfzig Ostmark!«, klagte der Taxifahrer. Sein Elvis wackelte entsetzt. »Die Mauer hat unser Leben damals unglaublich aufgewertet. Zwei Welten nebeneinander, jeder war ein Grenzgänger, jeder Schritt eine Entscheidung. Und heute, egal wohin du läufst, überall das Gleiche«, seufzte er.
    Wir in Moskau haben auf den Westen gewartet wie die Kinder auf den Weihnachtsmann. Besonders die modernen Künstler, die sich im Osten nicht entfalten konnten, rechneten fest mit der Anerkennung durch die neuen Freunde. Beide Seiten hielten einander für exotisch. Ich erinnere mich noch, wie sich ein Filmregisseur auf den Besuch westlicher Journalisten vorbereitet hat. Er zog Filzstiefel und Pelzmütze an, wenn er Gäste aus dem Westen erwartete. In diesem Karnevalskostüm setzte er sich auf den Balkon seiner Wohnung und spielte Balalaika. Seine Nachbarn, die ihn früher nie Balalaika spielen gesehen hatten, dachten, bei dem Regisseur seien endlich die Sicherungen durchgebrannt, und riefen den Krankenwagen und dazu noch die Feuerwehr, für alle Fälle.
    Ein anderer, ein guter Dichter, lud ein paar ausländische Kollegen in sein Wochenendhäuschen ein. Er wollte, wenn sie kamen, nackt aus dem Häuschen springen und sich im Schnee wälzen, um ihnen auf diese Weise seine geheimnisvolle russische Seele zu demonstrieren. Doch die Gäste gerieten in einen Stau, der Dichter saß nackt im
Flur, schaute alle zwei Minuten nach draußen, ob jemand kam, und erkältete sich dabei furchtbar.
    Damals, in der ausgegrenzten Welt, lebten wir wie im Zoo, schauten einander an und staunten übereinander. Heute sind die Grenzen verwischt, die Mauern niedergerissen, die Welt ist flach geworden. Woher noch Neugier nehmen, wo sind die Exoten? Worüber noch staunen, wovon träumen? Ich fliege demnächst nach Australien, habe schon die Flugtickets gekauft. Ich war noch nie in Australien, ich muss nach Australien wollen. Und so versuche ich, mich täglich für Australien zu motivieren.
    »Kängurus !«, sage ich jedes Mal zu mir selbst. »Ja, Kängurus. Die müssen es sein.«

Der siebte Gast
    Erwachsen zu werden ist schön und gut, aber wann soll das passieren? Wohin das Auge blickt, lauter Kinder, die sich bloß als Erwachsene tarnen. Verantwortungslos, rücksichtslos, naiv. Diesem Trend folgend, schrieb ich ein Kinderbuch für Erwachsene und bin mit dieser Idee voll ins Fettnäpfchen getreten.
    Es fing gut an. Ein kleiner christlicher Verlag fragte an, ob ich mir vorstellen könne, eine Bibelgeschichte meiner Wahl kinderfreundlich nachzuerzählen. Ich wählte die Geschichte von der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Sie war in meinen Augen eine typische Familiengeschichte. Ein Schöpfer, alt und weise, will seine Vorstellung von Recht und Ordnung bei der Schöpfung durchsetzen, aber entweder klärt er die Schöpfung nicht klar genug auf, oder sie ist tatsächlich zu blöde, und jedes Mal, wenn sie vor eine Wahl gestellt wird, entscheidet sie sich für das Falsche, versteht die göttliche Ordnung nicht und fliegt zuletzt raus aus dem Paradies.
    Menschlich gut nachvollziehbar, die Haltung des Schöpfers. Nicht nur im Paradies, auch bei uns zu Hause in Berlin wird stets irgendjemand von irgendwo vertrieben.
Mal die Kinder vom Computer, mal die Großmutter vom Fernseher, mal die Katzen vom Kühlschrank. Andererseits dachte ich, soll ich wirklich darüber schreiben? Das bringt doch nichts. Jeder Mensch neigt dazu, seine eigenen Erfahrungen zu sammeln und nur sich selbst zu vertrauen. Er kann seinen geraden Weg erst dann erkennen, wenn er zuvor alle Neben- und Quergassen besucht und in jeder Gosse herumgelegen hat. Diesem geraden Weg folgend, die Hosentaschen mit Erfahrungen und Erkenntnissen prall gefüllt, wird man schnell müde und denkt gar nicht mehr ans Paradies, sondern sucht nach Ruhe, statt nach Glück. Was soll das überhaupt für ein Glück sein, in einer Welt voller Leid und Hunger und Not? In einer solchen Welt kann nur ein Schurke oder ein Idiot glücklich sein.
    Ich schrieb dann doch über das Glück, aus dem Paradies vertrieben zu werden, und landete mit meinem Kinderbuch für Erwachsene prompt in einer Fernsehtalkshow. Die Presseabteilung des Verlags hatte große
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