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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland
Autoren: Wladimir Kaminer
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Sein kleiner Bruder München war dagegen klein und arm, ein Dorf am Rande des Lebens. Seinen Reichtum hatte Freising der Brücke über die Isar zu verdanken. Laut damaliger Gesetze mussten
alle Kaufleute, die mit ihren Waren die Freisinger Brücke passierten, nicht nur eine Gebühr bezahlen, sondern sich mehrere Tage in der Stadt aufhalten und ihre Waren auf dem dortigen Markt zum Verkauf anbieten. Heute nennt man solche Orte Wirtschaftssonderzonen. Sie bringen Regionen wie Shenzhen oder gar ganze Länder wie Polen zum Blühen. Und Freising war ein germanisches Shenzhen, es blühte über alle Maßen auf.
    Einmal, während der Bischof von Freising irgendwo in Italien in einer militaristischen Angelegenheit unterwegs war, besuchte der Münchner Herzog Heinrich der Löwe Freising und brannte die Brücke über die Isar nieder – ohne böse Absicht, wie er später behauptete. Er ließ auch sofort eine neue Brücke über die Isar bauen, diesmal aber in München. Als der Bischof von Freising aus Italien zurückkam, wollte er als Erstes dem Herzog die Fresse polieren. Aber das ging nicht, da beide dem Kaiser unterstellt waren. Und der Kaiser des römischen Reiches germanischer Nation tat sich schwer, in diesem Fall zu richten. Außerdem war er mit dem Kläger und dem Beschuldigten gleichermaßen verwandt. Er meinte, der Herzog und der Bischof sollten die Sache selbst, d. h. untereinander klären, wie es unter Verwandten üblich war. Daraufhin bot der Herzog dem Bischof eine prozentuale Beteiligung an den Brückeneinnahmen an, aber er schummelte bei der Abrechnung, und so wurde Freising nach und nach arm und vergessen, München dagegen reich und berühmt. Doch das diffuse Gefühl, durch eine Gemeinheit zu Reichtum und Ruhm gekommen zu sein, dieses Gefühl hat die
Münchner nie wieder losgelassen, behauptete jedenfalls der Taxifahrer. Man sehe es auf den Straßen, auf der Autobahn, in der Kunst und in der Architektur. Die Münchner hätten alle ihre Kirchen und Dome irgendwo in Europa abgeguckt, kopiert oder geklaut, zog er Bilanz und ließ mich raus. Die Stadt machte einen guten Eindruck, es roch nicht nach brennenden Brücken, sondern nach geräucherten Makrelen im Biergarten. Die Einheimischen sahen außerordentlich freundlich aus, glücklich und zufrieden.
    Mir ist in München an diesem halben Tag allerdings etwas Seltsames passiert. Nur ein paar Stunden habe ich dort verbracht und gleich zweimal Geld auf der Straße gefunden, einen Zehneuroschein und einen Zwanziger. Beide lagen vor der Tür einer Apotheke. Es gibt in München übrigens unüblich viele Apotheken, mindestens zwei in jeder Straße, manchmal sogar vier oder sechs. Dabei sehen die meisten Münchner überhaupt nicht krank aus, im Gegenteil: Sie strotzen vor Gesundheit und positiver Energie. Die Münchner haben auch sehr gepflegte Umgangsformen, sie geben auf alte Menschen Acht und essen alle Weißwürste vor zwölf Uhr restlos auf. Darüber hinaus gehen sie anscheinend oft und gerne zum Apotheker und schmeißen danach mit Geldscheinen nur so um sich. Vielleicht hatte der Taxifahrer recht, und die Leute hier hatten alle eine leichte Meise. Deswegen bekamen die Münchner besondere Antidepressiva oder andere verschreibungspflichtige Medikamente, die sie so frisch aussehen, immer die gleiche Partei wählen und sich jedes Jahr aufs Neue
über das Oktoberfest freuen ließen. In Berlin habe ich noch nie Geld auf der Straße gefunden, auch dann nicht, als ich es dringend brauchte.
    Das letzte Mal hatte ich in der Sowjetunion Geld gefunden. Als Kind träumte ich davon, eines Tages tausend Rubel zu finden. Es ging mir dabei nicht um persönliche Bereicherung. Ich wollte mit diesem Geld all denen eine Freude machen, die ich liebte. Die tausend Rubel wollte ich wie folgt aufteilen: Siebenhundert Rubel würden an meine Eltern gehen, wobei sie das Geld fünfzig zu fünfzig oder wie auch immer unter sich aufteilen sollten. Da wollte ich mich nicht einmischen. Die restlichen dreihundert Rubel sollte Natascha G. bekommen, meine erste Liebe aus der 6b. Ich folgte Natascha auf Schritt und Tritt, begleitete sie nach Hause und trug dabei ihren Ranzen unter den hämischen Pfiffen meiner Mitschüler. Meine Liebe war aber stärker als die Angst, mich in den Augen der Öffentlichkeit zu blamieren.
    Abends ging ich Geld suchen. Ich war mir sicher, dass irgendwo in unserem Bezirk Geld versteckt sein musste. Die Gegend war sumpfig und dunkel, ein ideales Versteck. Es hätte zum Beispiel
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