Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind
Autoren: Jean Webster
Vom Netzwerk:
Getöse und einem Flammenausbruch ein, etwa fünf Sekunden, nachdem der Doktor darübergelaufen war. Wir hatten ihn schon verloren gegeben, als die Menge auf der Wiese zu rufen anfing; er erschien einen Augenblick an einem der Dachfenster am Speicher und rief, daß die Feuerwehr eine Leiter anlegen solle. Dann verschwand er. Mir schien, sie würden die Leiter nie richtig anbringen; aber schließlich gelang es doch, und zwei Männer stiegen hinauf. Das Öffnen des Fensters hatte einen Zug verursacht, und sie wurden von den Rauchschwaden fast überwältigt, die oben herauskamen. Nach einer Ewigkeit erschien der Doktor wieder, mit einem weißen Bündel in den Armen. Er reichte es den Männern hinaus, dann taumelte er zurück, und fiel außer Sicht.
    Ich weiß nicht, was in den nächsten paar Minuten geschehen ist. Ich hatte mich herumgedreht und meine Augen zugemacht. Irgendwie haben sie es fertiggebracht, ihn herauszuholen, und halbwegs die Leiter herunterzubringen. Dann ließen sie ihn los. Du mußt bedenken, er war von dem ganzen Rauch, den er geschluckt hatte, bewußtlos, und die Leiter war vom Eis schlüpfrig und ' furchtbar wacklig. Jedenfalls, als ich wieder hinsah, war er ein Haufen am Boden, und alle rannten; jemand schrie, man müsse ihm Luft lassen. Zuerst haben sie geglaubt, er sei tot. Aber Dr. Metcalf vom Dorf hat ihn untersucht und gesagt, ein Bein sei gebrochen und zwei Rippen, aber sonst scheine er ganz zu sein. Er war immer noch bewußtlos, als sie ihn auf zwei Kinderbettmatratzen taten, die zum Fenster hinausgeworfen worden waren, und diese auf den Wagen legten, auf dem die Leitern gekommen waren, und ihn nach Hause brachten.
    Wir übrigen, die zurückblieben, haben einfach weitergearbeitet als sei nichts passiert. Das Komische an einem solchen Unglück ist, wieviel es auf jeder Seite zu tun gibt, so daß man keinen Augenblick nachdenken und die relative Wichtigkeit erst nachträglich einordnen kann. Der Doktor hatte, ohne einen Augenblick zu zögern, sein Leben für Allegra riskiert. Das war das Mutigste, was ich je gesehen habe, und doch nahm der ganze Vorfall nur fünfzehn Minuten jener schrecklichen Nacht in Anspruch. Als es geschah, war es nur ein Zwischenfall.
    Und Allegra hat er gerettet. Sie kam mit zerzaustem Haar und einem Ausdruck erfreuter Überraschung über diese neue Art Versteckspiel aus ihrer Decke heraus. Sie lachte! Wie das Kind davongekommen ist, ist geradezu ein Wunder. Das Feuer hatte einen Meter von ihrer Wand entfernt seinen Ausgang genommen, aber dank der Richtung des Windes hatte es sich fortbewegt. Wenn Miß Snaith etwas mehr an frische Luft glauben würde und das Fenster offen gelassen hätte, wäre das Feuer zurückgekommen. Aber glücklicherweise glaubt Miß Snaith nicht an frische Luft. Wenn Allegra umgekommen wäre, hätte ich mir nie verziehen, daß ich sie nicht zu den Bretlands gelassen habe, und ich weiß, daß Sandy das gleiche gefühlt hätte.
    Trotz dem Verlust kann ich nicht anders als glücklich sein, wenn ich an die beiden entsetzlichen Tragödien denke, die abgewendet wurden; sieben Minuten lang, während der Doktor in dem flammenden dritten Stock eingeschlossen war, durchlebte ich die Qual, sie beide tot zu glauben, jetzt noch wache ich nachts auf und zittere vor Entsetzen.
    Aber ich will versuchen, Dir das übrige zu erzählen. Die Feuerwehr und die Freiwilligen — vor allem der Chauffeur und der Stallknecht von Knowltop — haben die ganze Nacht wie wild gearbeitet. Unsere neueste Negerköchin, die auf ihre Weise eine Heldin ist, hat im Waschhaus Feuer gemacht und einen Kessel Kaffee gekocht. Sie ist ganz von alleine auf die Idee gekommen. Wer nicht aktiv mitkämpfte, gab den Feuerwehrleuten zu trinken, wenn sie sich gegenseitig ablösten und einige Minuten ausruhten. Und das hat gutgetan.
    Den Rest der Kinder brachten wir in verschiedenen gastfreien Häusern unter, mit Ausnahme der älteren Buben, die die ganze Nacht hindurch so gut wie irgendwer gearbeitet haben. Es war wirklich erhebend, zu sehen, wie die ganze Bürgerschaft sich aufmachte und Hilfe leistete. Leute, die nicht zu wissen schienen, daß die Anstalt überhaupt existiert, kamen mitten in der Nacht und stellten uns ihr Haus zur Verfügung. Sie nahmen die Kinder auf, gaben ihnen heiße Bäder und heiße Suppen und stopften sie ins Bett. Und soweit ich beurteilen kann, hat nicht ein einziges von meinen hundertsieben Kindern irgendwie Schaden gelitten, weil es mit nackten Füßen auf dem nassen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher