Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Liebe

Titel: Liebe
Autoren: R Precht
Vom Netzwerk:
Philosophie. Sie fördert keine großen Wahrheiten mehr zu Tage, sondern sie macht, bestenfalls, neue Zusammenhänge plausibel. Das ist nicht wenig. Als Sachwalter der Liebe allerdings haben die Philosophen heute starke Konkurrenz. Bücher zum Thema werden von Psychologen geschrieben, von Anthropologen und Ethnologen, von Kulturhistorikern und Soziologen und in letzter Zeit vermehrt von Chemikern, Genetikern, Evolutionsbiologen, Hirnforschern und Wissenschaftsjournalisten.
    Aus alledem erwachsen viele interessante Einsichten. Normalerweise allerdings leben sie alle brav nebeneinander wie verschiedene Tierarten in einem Biotop, die sich nur selten einmal direkt begegnen. »Der Mensch ist ein Tier«, »Der Mensch ist Chemie«, »Der Mensch ist ein kulturelles Wesen« – in jedem
Fall fällt die Antwort darauf, was Liebe ist, ganz anders aus. Und die Frage nach der Treue, nach Bindungen, nach Gefühlsschwankungen, nach der Faszination der Geschlechter füreinander werden jedes Mal völlig anders erklärt.
    Das ist umso erstaunlicher, als niemand bestreiten wird, dass sie im wahren Leben doch irgendwie alle ineinanderspielen. Verrät nicht die Tatsache, dass jeder von »Liebe« redet, dass es um das Gleiche gehen soll? Doch wie schlägt man da die Brücke zwischen dem Spanisch der Soziologen und dem Chinesisch der Genetiker? Wo liegt zwischen Testosteron und Phenylethylamin, Selbstbespiegelung und Fortpflanzungsdrang, Gesamtfittness und Erwartungserwartungen das Gemeinsame? Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen? Gibt es eine Hierarchie? Sind es parallele Welten? Oder ist alles auf etwas anderes rückführbar?
    Der Blick in die Fachliteratur offenbart ein Nebeneinander von Definitionen und Hoheitsrechten. Soziologen lassen die Chemie der Liebe achtlos beiseite, Liebes-Chemiker dagegen die Soziologie. Vielleicht gibt es gerade noch ein elementares Verständnis der Naturwissenschaftler untereinander und im Club der Geisteswissenschaftler. Dazwischen liegt eine schier unüberbrückbare Kluft.
    Diese Kluft ist es, die mich interessiert, weil es sie meines Erachtens nämlich nicht geben müsste. Seit Kindertagen bewegt mich eine nicht nachlassende Faszination für die Zoologie. Stärker als jede andere Wissenschaft schlägt sie für mich den mystischen Funken aus unserem Dasein. Und ein großer Teil meiner quasi-religiösen Erlebnisse ist zoologischer Natur. Gleichwohl lese ich biologische Erklärungen heute oft kritisch. Die meisten ihrer Voraussetzungen sind ungeklärt, ihre Axiome ohne festen Halt. Gerade die Nähe zum Fach erzeugt in mir großen Verdruss, wenn Biologen seltsame Dinge behaupten. Und über kein Thema haben Biologen so viel Seltsames geschrieben wie über Mann und Frau. Viele Aussagen über die Biologie unseres Begehrens
gehören ohne Zweifel zu den Tiefpunkten der Zunft, unterstützt und popularisiert von Psychologen, die im Namen der Biologie zu sprechen glauben.
    Bei der Kritik daran hilft die philosophische Schulung. Man kann sagen: Ich interessiere mich für den Geist aus naturwissenschaftlicher Perspektive und aus geisteswissenschaftlicher Perspektive für die Natur. Ich mag den schnörkellosen Drang nach Klarheit in den Naturwissenschaften und das intelligente »Gleichwohl...« der Geisteswissenschaften gleichermaßen. Ich gehöre keiner Fraktion an und muss niemanden verteidigen. Ich glaube nicht, dass es nur einen privilegierten Zugang zur Wahrheit gibt. Ich bin kein Naturalist, der den Menschen naturwissenschaftlich für erklärbar hält, und kein Idealist, der meint, dass man auf das Wissen der Naturwissenschaften verzichten kann. Ich glaube, dass es beides braucht: Philosophie ohne Naturwissenschaft ist leer. Naturwissenschaft ohne Philosophie ist blind.
    Es gibt keine zuverlässige Wissenschaft von der Liebe. Allen Versprechen zum Trotz. Auch die neuerdings so häufig angeführte Hirnforschung ist es nicht. Denn natürlich denken Frauen nicht mit anderen Hirnregionen als Männer, sondern mit den gleichen. Selbst Schimpansen denken mit den gleichen Hirnregionen. Die Gehirne von Frauen und Männern sind anatomisch nahezu ununterscheidbar und physiologisch sehr ähnlich. Ansonsten wären Frauen mit typisch »männlichen« Eigenschaften, die hervorragend einparken können, gestört. Und Männer, die gut zuhören können, wären krank.
    Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach der Liebe werde ich versuchen, Disziplinen ganz verschiedener Couleur fruchtbar zu machen und sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher