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Liebe

Titel: Liebe
Autoren: R Precht
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unser Verhalten steuern, sind demnach ziemlich alt. Aber sie bestimmen uns gleichwohl. Wenn Männer und Frauen sich in bestimmten Situationen mehrheitlich stark unterscheiden, halten Soziologen und Psychologen dies gemeinhin für Lernprozesse, kulturelle Prägung und Sozialisierung. Nach Ansicht von evolutionären Psychologen aber stammen solche unterschiedlichen Denkweisen bei den Geschlechtern aus nichts anderem als dem entwicklungsgeschichtlichen Vermächtnis unserer frühmenschlichen Vorfahren. Grundsätzliche Unterschiede, etwa in der Einstellung zur Sexualität, ließen sich demnach nur begreifen, wenn man sich mit den in der Evolution entstandenen »Denkmechanismen« auseinandersetzt. Mit den Geschlechtern, meint William Allman, ist es deshalb in etwa wie mit Fahrzeugen. Denn »den Unterschied zwischen einem Taxi und einem Rennauto« kann man »nur dann begreifen, wenn man zuvor die Grundelemente beider Wagentypen kennt, wie etwa Motor und Federung«. 4
    Dass wir die Wagentypen heute kennen, all die modernen Frauen und Männer in unserer Umwelt, ist klar. Aber wie gut kennen wir eigentlich unseren steinzeitlichen Motor und die Federung?

Menschliche Zoologie
    Malta ist eine schöne, etwas karge Insel im Mittelmeer. Wer dort an der malerischen Steilküste der Dingli Cliffs wandert, dem kann es passieren, dass er in den Hügeln einen 80-jährigen Herrn trifft mit einem braunen Hut auf der Stirnglatze. Es könnte der Mensch sein, der wie kein zweiter im 20. Jahrhundert die Idee verbreitete, alles menschliche Verhalten sei nichts als Biologie.
    Desmond John Morris wurde 1928 in England geboren. Er studierte Zoologie in Birmingham und in Oxford, aber lange
blieb ihm unklar, was er eigentlich werden wollte: Zoologe oder Künstler. In gewisser Weise sollte er beides werden oder genauer: beides ein bisschen. Seine Doktorarbeit schrieb er über die Fortpflanzungsrituale von Stichlingen, einem heimischen Süßwasserfisch. Als 30-jähriger ließ er Schimpansen Leinwände bemalen und stellte sie im Londoner Institut für zeitgenössische Kunst aus. Für das Fernsehen entwickelte er fortan Sendungen über das Verhalten der Tiere. 1959 wurde Morris Kurator für Säugetiere am Londoner Zoo. Hier schrieb er an seinem Buch, das ihn zu einem Star seiner Zunft machen sollte.
    Der nackte Affe erschien genau zur richtigen Zeit. Das Umschlagbild der englischen Originalausgabe nahm bereits das berühmte Foto aus der Berliner Kommune 2 vorweg: drei nackte Menschen von hinten fotografiert, ein Mann, eine Frau und ein Kind. Auf dem deutschen Umschlag kommt noch ein Menschenaffe hinzu. Abbildungen dieser Art standen 1967 noch unter dem Verdacht der Pornografie. Kein Wunder, dass Der nackte Affe zu einem Kultbuch wurde, vor allem in der jüngeren Generation. Bereits der Klappentext verrät, warum: »Dieses wahrhaft revolutionäre Buch verwandelt unser Denken von Grund auf. Wer es gelesen hat, wird alles rundum mit neuen Augen sehen: Nachbarn und Freunde, Frau und Kinder und sich selbst. Und er wird vieles Alltägliche ebenso wie vieles bisher Unbegreifliche nun mit jener lächelnden Nachsicht verstehen, die ihn dieses Buch lehrt.«
    Fast über Nacht wurden Morris und seine flotte Frau Ramona zu Popstars der Rock’n’Roll-Kultur. Der durch die Zoologie flanierende Künstler oder künstlerisch ambitionierte Zoologe verkaufte sein Buch über 10 Millionen Mal – einer der größten Weltbestseller aller Zeiten. Und der nüchtern provozierende Hohepriester der sexuellen Revolution legte gleich noch einmal nach. 1969 folgte Der Menschen-Zoo. Der Mensch, so Morris, habe sich durch seine Kultur heute selbst eingesperrt, er sei degeneriert zu einem verhaltensgestörten Zootier. Und nur ein rebellierendes
kreatives Zurück zu seiner Biologie verhindere den totalen Kollaps unserer Zivilisation.
    Auf den ersten Blick betrachtet erschien Morris als ein Revolutionär. Mit Der nackte Affe entzauberte er die konservative Sexualmoral der 1960er Jahre. Und mit Der Menschen-Zoo nahm er lange zuvor die Bewegung der Grünen vorweg. Doch auf den zweiten Blick steckt hinter der großen Freizügigkeit und dem Lob der Kreativität eine uralte Ideologie: die Vorstellung von der biologischen Vorherbestimmtheit des Menschen. Man konnte Morris’ Bücher mit feuriger Lust den kirchlichen Sittenwächtern und bürgerlichen Moralaposteln unter die Nase reiben. Aber der Gedanke, dass der Mensch ganz und gar biologisch vorherbestimmt sei, war kein optimistischer oder
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