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Liebe wird oft überbewertet

Liebe wird oft überbewertet

Titel: Liebe wird oft überbewertet
Autoren: Christiane Rösinger
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geschlechtstypischen Unterschieden gehöre vor allem, dass Männer mehr die instrumentelle Seite von Liebe und Ehe betonten, die Versorgung im Alltag, »dass alles gut läuft«. Frauen legten dagegen weitaus mehr Nachdruck auf Gefühle und innere Nähe, auf das »sich gut verstehen«.
    Beck-Gernsheim erklärt sich die erhöhte Scheidungsfreudigkeit bei Frauen mit folgender Formel: Im Enttäuschungsfall gaben früher die Frauen ihre Hoffnungen auf. Heute dagegen halten sie an den Hoffnungen fest – und geben die Ehe auf.
    Frauen um die fünfzig bleiben lieber allein, selbst wenn sie nach der Scheidung einen neuen Partner haben, wollen sie zumindest nicht in eheähnlichen Verhältnissen zusammenleben. Wollen keinen mehr versorgen, sich nicht mehr um Männer in der Beziehung kümmern müssen. Sind der Gefühlsarbeit müde. Endlich allein! Außerdem stehen sie nicht mehr unter dem gesellschaftlichen Druck, sich fortpflanzen zu müssen. Eigentlich ist es die perfekte Zeit, das Leben allein zu genießen.
    Nun können ja nicht alle, die an der Paargesellschaft verzweifeln, abwarten, bis sie fünfzig sind. Wer jung ist, will natürlich auch mal Teil eines Pärchens sein, will vielleicht Kinder und glaubt, dazu brauche man unbedingt einen Partner. Wer jung ist, will das Zusammenleben und die Sache mit der romantischen Liebe zumindest mal ausprobieren Die Liebe ist ja eine starke Ideologie, ein süßes Gift, dem schwer zu widerstehen ist.
    Emile Durkheim schreibt in »Der Selbstmord« über die Ehe, dass sie dem Menschen Ruhe und inneren Frieden bringe, weil sie seinen Horizont begrenze und seinen Wünschen einen Riegel vorschiebe. Sie fördere sein »moralisches Gleichgewicht«.
    Das kann ja auch für viele Menschen eine Möglichkeit sein. Andere verzweifeln an dieser Begrenzung, wollen ihren Wünschen keine Riegel vorschieben – bürgerliche Zweisamkeit ist ihnen ein Gräuel.

Whatever works!
    Wer sich trotzdem zumindest zeitweise auf das Konstrukt Liebe einlassen will, ohne gleich in der Pärchenhölle zu versauern, muss sich immer wieder fragen: Gibt es einen Ausweg, ein modernes, alltagstaugliches Liebeskonzept? Gibt es Alternativen zur allgegenwärtigen Pärchenlüge, gibt es Beziehungen, in denen der Partner als Bereicherung, nicht als Rettungsanker gesehen wird? Da bleibt auch der Paarkritikerin nichts übrig, als ein fröhliches »Whatever works!« in die Runde zu werfen.
    Die Patchwork-Liebesbiographie verspricht im Gegensatz zur traditionellen Ehe immerhin ein wenig Abwechslung, aber die serielle Monogamie kann auch zu dem erschöpfenden Gefühl führen, man müsse immer wieder von vorne anfangen.
    Die Trennung von Sexualität und Partnerschaft bedeutet meistens immer noch eine patriarchalische Form von Sexualität. Wer die Paarbeziehung auf verschiedene Partner aufsplitten kann – für Sex, für Sport, fürs Essengehen, Urlaub, Gespräche und Konzerte –, hat mehr Abwechslung, aber auch weniger Intimität zu erwarten.
    Die zunehmende Zahl der »Asexuellen« verzichtet ganz auf geschlechtliche Beziehungen zu anderen Menschen, wobei Asexuelle ja keinen Mangel leiden, weil sie keinerlei sexuelle Bedürfnisse verspüren. Dafür leiden die Sexlosen unter dem kulturellen Druck in einer Gesellschaft, in der nicht nur Liebe, sondern auch Sex überbewertet wird.
    Vielleicht ist die Polyamorie der Ausweg aus der Pärchenmisere? In den letzten Jahren sind einige Sachbücher zum Thema erschienen, auch wurde es in Spielfilmen behandelt. Da könnte man vermuten, die »Vielliebe« wäre die Liebesform der Zukunft.
    Polyamorie nennt man die Praxis, vertrauensvolle und langfristige Liebesbeziehungen zu mehr als einem Menschen zu unterhalten, und zwar mit Wissen und Einverständnis aller Beteiligten – wodurch sich die Polyamorie von der Promiskuität unterscheidet. Um gleichzeitige Beziehungen zu mehreren Menschen zu ermöglichen, gelten Offenheit, Ehrlichkeit, Vertrauen und Kommunikation unter polyamoren Menschen als grundlegende Umgangsformen. Alle Beteiligten wissen stets über alle Verflechtungen Bescheid und geben dazu ihr Einverständnis – was die Polyamorie auch zu einer aufreibenden, anstrengenden Liebesform machen kann, da alles immer wieder ausgehandelt werden muss. Oliver Schott, Autor des Sachbuchs »Lob der offenen Beziehung« sagt, »Polyamorie verspricht kein Happy-End«, und tatsächlich sind auch in einer fragwürdigen Facebook-Umfrage die Polyamourösen die Unglücklichsten – noch unglücklicher
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