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Liebe wird oft überbewertet

Liebe wird oft überbewertet

Titel: Liebe wird oft überbewertet
Autoren: Christiane Rösinger
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von Mietshäusern und hat in den meisten Fällen den Schneeräumdienst an eine Billigfirma outgesourct. Deren Preise und Personal sind für milde Winter kalkuliert, sie kommen nicht nach. So ist es zum Eisnotstand gekommen, und mit Sondersendungen, Beschwerdetelefonen und Expertenrunden versucht man der Lage Herr zu werden.
    Was am Anfang ein schöner Ausnahmezustand war und ein bisschen Abwechslung in den Berliner Trott brachte, wird mit der Zeit aber doch recht lästig.
    Mitte Dezember entstand eine Schicht aus mehrfach überfrorenem und festgestampftem Schnee, die Gletscher auf den Gehwegen kalbten immer wieder aufs Neue. Tausende von Fußabdrücken wurden in Schnee und Matsch getreten, dann aber froren die Abdrücke zu extrem hartem Eis, eine tückische und effektive Falle für Knöchel und Gelenke! Seit Wochen verlassen ältere und gehbehinderte Menschen ihre Wohnung nicht mehr, und in den Notaufnahmen der Krankenhäuser werden täglich über hundert komplizierte Knochenbrüche eingeliefert. Inzwischen hacken einzelne Geschäftsleute das Eis vor ihren Geschäften mit Pickeln auf, am Potsdamer Platz wurden zu Ehren der Berlinale Schlagbohrer eingesetzt.

Berlin, 19 . Januar
    Es hat getaut, es ist grau, fad, matschig und kalt, und das Ausgehen ist schwierig. Vor allem, wenn man in dieser trüben Zeit des Jahres an einem leichten Welt- und Eventekel leidet und in den Straßen gerade mal wieder die unglückselige Fashion Week tobt.
    Wo man hingeht Mode und Models. Da könnte man natürlich jammern und heulen und fluchen, könnte über die Blödheit der Modewelt, über Models in dummen Klamotten, die die städtische Landschaft verschandeln, und andere Scheußlichkeiten wie asymmetrische Frisuren und Deppenponys, experimentell tiefsitzende Bund- und Haremshosen lamentieren – aber das Jahr ist noch so neu, da muss man doch noch ein bisschen positiv denken.
    Der schlimmste, traurigste Tag des Jahres liegt ja angeblich schon hinter uns. Es war der letzte Montag. Der traurigste Tag des Jahres, das haben nämlich englische Forscher, genauer gesagt, ein Gesundheitspsychologe der Universität von Cardiff errechnet, ist nämlich immer der dritte Montag im Januar, der »Blue Monday«. Andere Quellen behaupten, die britische »Optimisten-Gesellschaft« habe den Zeitpunkt der größten Traurigkeit mit Hilfe einer mathematischen Formel berechnet. Die Formel berücksichtigt unter anderem die postweihnachtliche Schwermut und das Wetter: Wenn man zur Arbeit geht, ist es dunkel, wenn man nach Hause kommt, auch; Schulden, die man wegen Weihnachten gemacht hat, drücken. Das Wetter ist kalt oder nass oder beides, der Winter dauert an, der Urlaub, der Sommer sind in weiter Ferne. Die Vorsätze fürs neue Jahr sind bereits wieder über den Haufen geworfen worden, die erste Diät war erfolglos, das Geld wird knapp.
     
    [W + D – d]T Q  /  MN a
    W = weather, d = debt, T = time since christmas, Q = time since failing our new year’s resolutions; M = low motivational levels, N a = the feeling of a need to take action; D = not defined
     
    Aber was ist mit all den Menschen, auf die das nicht zutrifft? Die, die nicht früh aufstehen müssen, die wegen Weihnachten keine Schulden gemacht und sich für das neue Jahr gar nix vorgenommen haben? Warum wurden sie in der Formel nicht berücksichtigt?
    Die genaueren Nachforschungen haben ergeben, dass die Sache mit dem traurigsten Tag des Jahres im Jahr 2005 von einer englischen Werbeagentur im Auftrag von Sky Travel, einem Satellitenkanal, lanciert wurde. Die Wissenschaftler der Universität Cardiff haben sich längst von einem Exkollegen distanziert, der gegen Entgelt seinen Namen für die Kampagne zur Verfügung gestellt hatte.
    Das heißt also, man muss in Berlin nicht nur diese saublöde Fashion Week aushalten, sondern der traurigste Tag des Jahres steht unter Umständen noch bevor.

Was Menschen traurig macht
    Andererseits glaube ich, die Zeit der großen Traurigkeit ist bei mir endgültig vorbei. Vielleicht ist es ja eine weitere große Lüge, dass der Mensch im fortgeschrittenen Alter trauriger wird, dass die Jugend die lustigste Zeit des Lebens ist und es ab vierzig stimmungsmäßig bergab geht.
    Früher war ich viel trauriger als heute. Aber mit den Jahren hat sich die jugendliche tiefe Schwermut zu einem Bewusstsein der allgemeinen Sinnlosigkeit gemildert, das man wiederum durchaus mit Heiterkeit ertragen kann.
    Schlimme Zeit der Jugend, weil doch gerade der noch unreife junge
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