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Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Titel: Liebe Isländer: Roman (German Edition)
Autoren: Huldar Breiðfjörð
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kennzeichnend sei, gerät er in Bewegung und sagt: »Wir sagen per-la und nicht perdla. Er-la und nicht Erdla. Hor-nafjörður und nicht Hordnafjörður.«
    Die eine Tochter, die auf einem Stuhl sitzt und ihrem Kind die Schuhe anzieht, ergänzt lächelnd: »Wenn du nach Akureyri fliegst, dann bist du jeflogen, wir aber sind geflogen.«
    Die andere Tochter scheint das zu amüsieren, und sie fügt hinzu: »Aber ansonsten ist dieser Dialekt am Aussterben.«
    »Nein«, sagt Torfi mit Bestimmtheit. »Er wird eher stärker.«
    Die Frau sieht von den Töpfen auf und ruft wieder durch die Küche: »Hier sind einmal welche vorbeigekommen und haben gesagt, die Leute auf Hestgerði sprächen das reinste Skaftafellisch.«
    Obwohl auf dem Hof außerordentlich schönes Isländisch gesprochen wird, hängen die Bewohner es nicht an die große Glocke und schweigen überwiegend. Vielleicht bin ich es, von dem diese Wirkung ausgeht. Ich bin mir meines eigenen Sprachgebrauchs inzwischen so bewusst, dass ich jeden Satz in Gedanken vorher drei Mal überprüfe, bevor ich es wage, ihn aus mir herauszulassen. So brauche ich lange für meine Antworten, und das Gespräch verläuft stockend. Schließlich schweige ich so wie die anderen und hänge meinen Gedanken darüber nach, dass in diesem Hause der Genius mit seinen wunderbar phantastischen Vorstellungen höchstpersönlich gesessen hat.
    Als ich sehe, dass der Kaffee fertig ist, und ich mich daranmache, mich zu erheben, fragt die Frau, ob ich nicht mit ihnen zusammen gesengten Schafskopf essen möchte. Und ob ich das will! Während des Essens bietet Torfi mir ständig Butter an. Die eine Tochter bemerkt, dass mich das ein bisschen verwundert, und sagt: »Großvater hat immer gesagt, hier essen wir Fettes mit Fettem und Süßes mit Süßem.« Die Frau fügt noch hinzu: »Er hat immer beides, Butter
und
Marmelade, auf seine Scheiben vom Weihnachtskuchen gestrichen.«
    Dann folgt wieder Schweigen. Ich bekomme erneut das Gefühl, daran schuld zu sein, dass sie finden müssen, ich sei ein stinklangweiliger Gast. Und sage daher voller Schwung: »Eins hat mich schon immer interessiert. Wo genau verläuft eigentlich die Grenze zwischen dem Dialekt des Nordlands und dem des Südlands?«
    Die Leute heben die Augenbrauen und sehen sich gegenseitig an. Dann sagt die Frau wie aus Höflichkeit: »Das lässt sich nicht genau sagen.« Danach ist das Schweigen irgendwie noch erdrückender als vorher.
     
    Wo genau verläuft eigentlich die Grenze zwischen dem Dialekt des Nordlands und dem des Südlands?! Da hatte ich das Mekka der isländischen Sprache betreten und mich nach ebendiesem erkundigt. Das war mein Beitrag zur Diskussion über den isländischen Sprachgebrauch! Was für ein Murks. Was war ich nur für ein Idiot! Mein Besuch war völlig schiefgegangen. Bis dahin war er ganz gut verlaufen, dann jedoch hatte er damit geendet, dass die Frau sich strikt geweigert hatte, die Bezahlung für den Kaffee anzunehmen, und eher den Eindruck erweckte, mich so schnell wie möglich loswerden zu wollen. Habe ich mich denn gar nicht weiterentwickelt?
    Ich habe das Auto an der Lagune Jökulsárlón geparkt. Diesem Lieblingsdrehort der SAGA-Filmgesellschaft. Bestimmt habe ich deshalb das Gefühl, auf eine Werbung zu schauen. Kann diese blaue Farbe kaum glauben. Ich rauche, trinke Halikaffee und überlege, ob ich nicht einfach immer noch dasselbe wundervolle Kind bin. Oder bin ich etwas robuster geworden? Ist es nicht genau das, worum sich alles dreht: sich abzuhärten? Ich weiß es schlicht und einfach nicht, aber ich weiß, dass ich aufgewacht bin. Ich habe ein bisschen gefroren. Ich habe einen Bart. Ich habe mich in mich selbst zurückgezogen. Bin ein bisschen ausgeklinkt und kurz davor, den Ring zu vollenden. Vielleicht reicht das jetzt erst mal.
    Und ich erinnere mich, erinnere mich nicht. Ich erinnere mich, wie ich Lappi zum ersten Mal gesehen habe. Ich erinnere mich an die Reifen ohne Spikes und daran, mich im Djúp übergeben zu haben. Ich erinnere mich an die klaustrophobische Panik im Tunnel nach Ísafjörður. Ich erinnere mich an die Fróðárheiði und daran, einem Geist begegnet zu sein. Ich erinnere mich an den Stress, das Auto in Gang zu kriegen. Wie meine Tränen aufs Lenkrad tropften. Ich erinnere mich an den Seitenwind, an glatte Steigungen und löchrige Straßen. An die totgeborenen Tage. Die dunklen Morgen. Kalten Nächte. Die Furcht vor dem Hirntod. Ich erinnere mich an die Furcht vor fast allem,
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