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Liebe Hoch 5

Liebe Hoch 5

Titel: Liebe Hoch 5
Autoren: Adriana Popescu , Katrin Koppold , Ivonne Keller , Katelyn Faith , Nikola Hotel
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sah. Peinlich berührt löschte ich die Nummer von meinem Display. Ich las niemals Romane. Schon gar kleine Liebesromane. Ich bevorzugte Sachbücher. Die strikte Anordnung eines Inhaltsverzeichnisses gefiel mir. Es war beruhigend zu wissen, dass von Seite 67 bis 92 etwas über »Das Maß der Dinge« geschrieben stand, wenn man Bill Brysons Eine kurze Geschichte von fast allem aufschlug.  
    Liebe war unberechenbar.
    Ich glaubte nicht daran, dass es sich lohnte, auf Liebe zu warten. Liebe war nicht der See, auf dem man wohlig wie in Honigmilch schwamm. Liebe war der Klotz, der uns ans Fußgelenk gebunden wurde, und dann tief in die Dunkelheit zog. Und wenn man merkte, dass man daran ertrank, dann war es zu spät, um die Ketten zu lösen.
    Ich strich das Papier glatt und wunderte mich, wieso darauf die Tinte verschwinden konnte, als mich ein Besucher ansprach, der plötzlich an die Theke getreten war. Die Augen des Mannes lächelten, als er auf das vor mir liegende Blatt deutete.
    »Das habe ich als Kind auch gemacht. Aber auf dem Taschenrechner.« Neben seinem linken Mundwinkel hatte sich ein Grübchen eingegraben.
    »Wovon reden Sie?«, fragte ich unwirsch und zerknüllte den Zettel in meiner Hand.
    »Wie viele Wörter haben Sie gefunden?«, erkundigte er sich statt einer Antwort.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Zwei.«
    »Nur zwei?« Als er auflachte, fiel ihm das braune Haar in die Stirn. Er schob mir seine Bücher vor die Nase. »Mir fallen mindestens zehn ein.«
    »Ach ja? Nun, das ist schön für Sie.« Ich zog den Stapel heran und scannte die Bücher der Reihe nach ein. Verwundert betrachtete ich die Einbände. Es gab tatsächlich Männer, die sich einen Roman von Louisa May Alcott ausliehen? Und nicht nur das, er wollte auch noch Charlotte Brontë lesen, stellte ich fest. Und Jane Austen. Ein Schaudern überfiel mich, als ich Anne Elliot umdrehte und drei Zeilen des Klappentextes aufnahm:  
    Sie hatte ihn gesehen! Sie hatten sich getroffen! Sie waren wieder in einem Raum beisammen gewesen!
    Was für eine lächerliche Anhäufung von Sätzen! Als würde man spüren, wenn man sich im selben Raum aufhielte wie der Mann, den man liebte. Als würde sich durch die Gegenwart eines anderen Menschen auch nur irgendetwas ändern. Blieb nicht die Luft dieselbe, wenn man sie mit dem Atem eines anderen teilte?
    Ich druckte dem Kunden die Quittung aus und legte sie auf seine Bücher. Da aber der Einband von Anne Elliot so stark beschädigt war, dachte ich, es könnte nicht schaden, ihn daran zu erinnern, damit besonders vorsichtig umzugehen. Ich zückte den Kuli und schrieb:
    Bitte pfleglich behandeln, das Buch ist schon sehr abgenutzt!
    Den Zettel klebte ich auf das Titelblatt und klappte das Buch zu. Er würde es beizeiten sehen und sich eher besinnen, als wenn ich ihn jetzt darauf hinwies.
    »Die Bücher sind übrigens für mich«, erklärte er gerade, obwohl ich nie im Leben auf die Idee gekommen wäre, ihn danach zu fragen. »Vielleicht kann ich die Frauen besser verstehen, wenn ich das gelesen habe.« Er zwinkerte mir zu, was ich mit einem Schnauben kommentierte. Bekloppter Kerl, dachte ich und sah ihm hinterher, als er die Bibliothek verließ. Er hatte einen wippenden Gang wie ein Teenager, der bei jedem Schritt einige Zentimeter in die Höhe wuchs.
    Jens erschien nicht. Obwohl er mir versprochen hatte zu kommen, sobald er seine Mutter im Krankenhaus abgeliefert hatte, ließ er mich hängen, und ich harrte bis sechs Uhr aus. Verärgert hinterließ ich ihm eine Nachricht auf seinem Schreibtisch:
     
    Du hättest wenigstens mal anrufen können! Bitte mich bloß nie wieder um einen Gefallen!
    Luzie
     
    Am nächsten Morgen kam ich nicht dazu, den Kugelschreiber zurückzubringen, weil ich dringend einkaufen musste. Und dann verpasste ich auch noch meinen Bus und kam zu spät zur Arbeit. Ich schlich an meinen Platz und wagte es nicht, Jens zur Rede zu stellen. Der sah übernächtigt aus, hatte dunkle Ringe unter den Augen und sich nicht einmal rasiert.
    »Ich wollte mich noch bei dir bedanken«, sprach er mich an. »Dafür, dass du so viel Verständnis hast. Meiner Mutter geht es echt nicht gut. Wahrscheinlich muss sie operiert werden.« Er senkte betrübt den Kopf.
    »Das tut mir … sehr leid«, brachte ich mühsam heraus. Und mit einem Anflug von schlechtem Gewissen nahm ich mir vor, gleich nach dem Zettel zu suchen und ihn verschwinden zu lassen. Welch ein Glück, dass er ihn noch nicht entdeckt hatte. Gestern war
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