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Lichtjagd

Lichtjagd

Titel: Lichtjagd
Autoren: Chris Moriarty
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zu dem schmalen Bett, kroch unter die nervtötende Decke und flüsterte der Kabine zu, dass sie das Licht löschen sollte.
    Nichts geschah.
    Er stand auf und durchsuchte die Kabine nach einem manuellen Lichtschalter, aber es gab keinen. Aus einem Reflex heraus griff er nach der Tür und wollte sie öffnen, weil er den Lichtschalter draußen im Korridor erwartete.
    Sie ließ sich nicht öffnen.
    Er rüttelte an den Tür, versuchte sie aufzureißen, rammte die Schulter dagegen und spürte, wie sich in seinem Bauch eine hämmernde Panik aufbaute.
    Und dann begriff er es.
    Sie hatten etwas getan, das ihm in seinem ganzen Leben noch nie jemand angetan hatte. Etwas, wofür es im Standard-Englisch der Syndikate nicht einmal ein Wort gab. Etwas, das er nur aus alten, entsetzlichen Geschichten über die Grausamkeit der Menschen kannte. Sie hatten ihn eingesperrt.
    Er zog sich von der Tür zurück. Seine Finger brannten vom Herumzerren an dem unnachgiebigen Metallriegel. Er keuchte wie ein Tier, und es erforderte eine bewusste Anstrengung, seinen Atem zu beruhigen. War Osnat dafür verantwortlich? Taten Menschen sich auch gegenseitig solche Dinge an oder nur den Konstrukten? Und wenn ja, warum hatte Korchow ihn nicht gewarnt?
    Arkasha hätte es gewusst, dachte er nun schon zum tausendsten Mal. Arkasha und seine unstillbare Neugier auf Menschen.
Arkasha mit seinen Geschichtsbüchern, seiner politischen Philosophie und antiken Literatur. Arkasha hätte ihm wahrscheinlich eine Erklärung angeboten, die verrückt genug war, um einem solchen Verbrechen einen Sinn zu geben.
    Und warum sitze ich dann hier an deiner Stelle, Arkasha? Und was hat Korchow mit dir gemacht?
    Er wickelte sich die Decke um die Schultern und versuchte sich selbst zu ermüden, indem er auf und ab ging, aber der bloße Gedanke an die versperrte Tür ließ ihn innerlich kochen. Er rüttelte noch einmal am Riegel, suchte diesmal systematisch nach Schwachstellen und hoffte, dass er seine Funktionsweise nicht falsch verstanden hatte. Aber nein. Er war wirklich blockiert.
    Schließlich, als alle anderen Möglichkeiten erschöpft waren, setzte er sich auf den Boden und tat das, was er von Anfang an hätte tun sollen: Er beobachtete die Ameisen.
    Es waren etwa dreihundert. Sie krochen aus dem engen Spalt zwischen Wand und Bodenplatte, verteilten sich in den typischen fraktalen Verzweigungs- und Ballungsmustern eines kolonisierenden Schwarms über den Boden und verschwanden gegenüber in einem ebenso finsteren und unzugänglichen Spalt wie dem ersten. Sie waren wie ein Fluss, ein lebendiger Strom aus Chitinpanzern, die in der kläglichen Schiffsbeleuchtung wie verschüttete Öltröpfchen glänzten. Sie hätten nicht hier sein dürfen. Sie waren Ungeziefer. Niemand hatte je beabsichtigt, sie in den Weltraum zu bringen. Und doch waren sie hier, quollen aus den Innereien des Schiffs wie Blutstropfen aus einer offenen Wunde: So übte die arme, verwüstete Erde Rache, durch ihre kleinsten Fußsoldaten.
    Arkady hielt einen Finger in den Strom und ließ die kleinen Arbeiter auf seine Hand klettern, damit er sie genauer betrachten konnte. Er spürte ein leichtes Zwicken, als einer ihm versuchsweise in den Finger biss. Er blies die Ameisen von seiner Hand herunter – hätte er sie abgestreift, wären möglicherweise empfindliche Beine und Fühler verletzt worden,
und er hatte es nie ertragen können, wenn Ameisen unnötig verletzt wurden. Er rieb sich nachdenklich den Biss und lenkte seine Gedanken wieder auf die Frage, die ihn seit seinem ersten Treffen mit Andrej Korchow beschäftigt hatte.
    Warum er? Was unterschied ihn von den Tausenden anderen Arkadys auf dem halben Dutzend Orbitalstationen und planetaren Siedlungen der Syndikate? Warum hatte Korchow sein wunderbares Angebot, Milde walten zu lassen, auf Arkady und Arkasha ausgeweitet? Arkady hatte sein Leben lang Ökosysteme und Biosphären studiert: die komplizierten Abhängigkeiten ihrer Energiekreisläufe erfasst, die den Metabolismus eines lebendigen Planeten antrieben. Es war für ihn nur natürlich, diese Fähigkeiten auf seine gegenwärtige Situation anzuwenden. Aber alle seine Versuche, ein schlüssiges Bild von Novalis und seinen Nachwirkungen zu zeichnen, waren kläglich gescheitert. Sein ganzes Vertrauen in seine Fähigkeit, die zugrunde liegenden Strukturen seines eigenen Lebens zu erkennen, hatte sich in Novalis’ undurchdringlichen Dschungeln verflüchtigt.
    Er schlurfte zum Becken zurück, goss sich ein
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