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Letzte Worte

Letzte Worte

Titel: Letzte Worte
Autoren: Karin Slaughter
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Florida gezogen. Ihre beste Freundin hatte eine Stelle in einer Bibliothek im Norden angenommen. Ihr Freund lebte zwei Stunden entfernt. Es gab nichts, was Lena noch hier hielt, außer ihrer eigenen Trägheit und der Loyalität zu einem Mann, der inzwischen vier Jahre tot war und sie wahrscheinlich sowieso nicht für eine gute Polizistin gehalten hatte.
    Frank drückte die Knie gegen das Lenkrad, während er den Deckel wieder auf den Flachmann schraubte. » Ich werde ihn nicht annehmen, außer du sagst, dass es okay ist. «
    Sie drehte überrascht den Kopf. » Frank… «
    » Ich meine es ernst « , warf er dazwischen. » Wenn es für dich nicht okay ist, dann sage ich dem Bürgermeister, er kann ihn sich sonst wo hinschieben. « Er kicherte heiser, und Lena meinte, den Schleim in seinen Bronchien rasseln zu hören. » Vielleicht nehme ich dich ja mit, damit du den Ausdruck auf dem Gesicht des kleinen Wichsers siehst. «
    Sie zwang sich zu sagen: » Du solltest den Job annehmen. «
    » Ich weiß nicht, Lee. Ich werde so verdammt alt. Die Kinder sind alle erwachsen. Meine Frauen sind alle weggezogen. An vielen Tagen frage ich mich, warum ich in der Früh überhaupt noch aufstehe. « Noch einmal kicherte er heiser. » Kann sein, dass du eines Tags mich im See findest und die Uhr in meinen Schuhen. Das meine ich ernst. «
    Sie wollte die Erschöpfung in seiner Stimme nicht hören. Frank war zwanzig Jahre länger als Lena bei der Truppe, aber sie konnte seinen Überdruss nachempfinden, als wäre es ihr eigener. Das war der Grund, warum sie jede freie Minute in Vorlesungen im College verbracht und versucht hatte, einen Bachelor-Abschluss in Forensik zu machen, damit sie bei der Spurensicherung arbeiten konnte und nicht mehr aufVerbrecherjagd gehen musste.
    Mit den frühmorgendlichen Anrufen, die sie aus dem Schlaf rissen, konnte Lena umgehen. Sie konnte auch mit den blutbesudelten Tatorten und den Leichen und dem Elend umgehen, mit dem der Tod jeden Augenblick des eigenen Lebens färbte. Nicht mehr aushalten konnte sie allerdings, immer an vorderster Front stehen zu müssen. Es war zu viel Verantwortung. Es war zu viel Risiko. Man brauchte nur einen einzigen Fehler zu machen, und der konnte das Leben kosten– nicht einem selbst, sondern einem anderen Menschen. Es konnte passieren, dass man verantwortlich war für den Tod von jemandes Sohn. Jemandes Ehemann. Jemandes Freund. Man fand ziemlich schnell heraus, dass der Tod eines anderen Menschen unter der eigenen Verantwortung viel schlimmer war als das Gespenst des eigenen Todes.
    » Hör zu«, sagte Frank, »ich muss dir was sagen. «
    Lena sah ihn an, seine unvermittelte Offenheit wunderte sie. Seine Schultern hingen noch mehr, und seine Fingerknöchel waren weiß, so heftig klammerte er sich am Lenkrad fest. Sie ging die lange Liste der möglichen Themen durch, die sie bei der Arbeit in Schwierigkeiten bringen konnte, doch was dann aus seinem Mund kam, verschlug ihr den Atem. » Sara Linton ist wieder in der Stadt. «
    Lena schmeckte Galle und Whiskey in ihrer Kehle. Einen kurzen, panischen Augenblick lang fürchtete sie, sich übergeben zu müssen. Lena konnte Sara nicht gegenübertreten. Die Anschuldigungen. Das schlechte Gewissen. Schon der Gedanke, durch ihre Straße zu fahren, war zu viel für sie. Lena fuhr immer die lange Strecke zur Arbeit, um nicht an Saras Haus vorbeizukommen, nicht an dem Elend, das in ihr hochkochte, sobald sie nur an diese Straße dachte.
    Frank redete leise und sachlich weiter. » Ich habe es in der Stadt gehört, deshalb habe ich ihren Dad angerufen. Er sagte, dass sie heute kommt, um Thanksgiving mit ihnen zu verbringen. « Er räusperte sich. » Ich hätte es dir gar nicht gesagt, aber ich habe die Patrouillen vor ihrem Haus verstärkt. Du siehst es auf dem Dienstplan und wunderst dich– na ja, jetzt weißt du es. «
    Lena versuchte, den sauren Geschmack in ihrem Mund hinunterzuschlucken. Es fühlte sich an, als würden Scherben durch ihre Kehle rutschen. » Okay « , sagte sie mit belegter Stimme. » Danke. «
    Frank überfuhr ein Stoppschild und bog scharf auf die Taylor Road ab. Lena hielt sich am Türgriff fest, aber das war eine automatische Reaktion. In Gedanken war sie damit beschäftigt, wie sie Frank mitten in einem Fall um Urlaub bitten konnte. Sie würde sich die ganze Woche nehmen und nach Macon fahren, sich vielleicht ein paar Wohnungen anschauen, bis die Thanksgiving-Ferien vorüber waren und Sara wieder in Atlanta war,
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