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Lesereise Sizilien

Lesereise Sizilien

Titel: Lesereise Sizilien
Autoren: Natalie John
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entwickelt, die in einem Gang die Orangen schneidet und auf der Stelle auspresst. Die Maschine trat einen italienweiten Siegeszug an. Inzwischen steht sie in vielen Autobahnraststätten und in Bars im ganzen Land und lockt mit dem hohen Vitamingehalt der frisch gepressten, vitaminreichen, sonnenverwöhnten arancia di Sicilia. Das Konzept funktioniert, Zulieferer haben Hochkonjunktur. Sizilianische Weine und Olivenöle sind von hoher Qualität, doch haben sie den Vormarsch aufs italienische Festland und weiter nie so ganz geschafft. Der Grund liegt in der sizilianischen Mentalität. Die Eigenbrötler von der Insel haben eine Aversion gegen Zusammenschlüsse und Verbünde, und jeder macht lieber sein eigenes Ding. Der Fischfang verliert immer mehr an Bedeutung, der traditionelle Thunfischfang etwa, bis in die fünfziger Jahre ein bedeutender Faktor, ist zum Touristenspektakel verkommen. Fast alle tonnare, die Anlagen, in denen früher die Fischverarbeitung stattfand, sind stillgelegt.
    Industrie spielt eine untergeordnete Rolle, im Norden steht ein Montagewerk des Fiat-Konzerns, es gibt etwas petrochemische und chemische Industrie, die mehr für Umweltverschmutzung als für Arbeitsplätze sorgt, ein paar Salinen bei Trapani, Kalium- und Steinsalzgruben. Jegliche Investitionsfreude wird von der Mafia gebremst, wer will schon seinen Gewinn teilen.
    Dem Tourismus verdankt sich, dass der Dienstleistungssektor in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen ist. Es wurde in Taormina sogar extra ein Consorzio Universitario per la Formazione Turistica Internazionale gegründet, eine Art Universität, auf der Siziliens Jugend fit gemacht werden soll für den Touristenansturm. Die engagierte Ehefrau eines sizilianischen Parlamentsabgeordneten organisiert Unterrichtsstunden, Sprachkurse und Austauschprogramme, zum Beispiel mit Frankreich, um den jungen Sizilianern die hohe Kunst des guten Services beizubringen. Dienstleistung ist die Zukunft, weiß man hier auf Sizilien.
    In den letzten Jahren hat auch der gesellschaftliche Reichtum zugenommen, die Zahl der Analphabeten sinkt, der Bildungsstandard steigt, in Lebensweise und Gewohnheiten nähern sich die Sizilianer langsam dem Norden – allerdings nur in den größeren Städten. Sogar Palermo hat in der letzten Zeit ein neues Kleid bekommen, was ein Verdienst seines langjährigen Bürgermeisters Leoluca Orlando ist. Früher konnte man an einer Hand abzählen, wo man in der Inselhauptstadt gut essen oder am Abend Musik hören konnte. Die Straßen waren nach Einbruch der Dunkelheit gespenstisch leer gefegt. Nachtleben war gleich null. Das Palermo des 21. Jahrhunderts präsentiert sich hingegen als weltoffene, quicklebendige Stadt. Vor allem rund um das Teatro Massimo, das nach endlosen Renovierungen wieder geöffnet hat, ist eine neue Vergnügungszone entstanden. Das Palermo von heute gräbt wieder seine multiethnischen Wurzeln aus und präsentiert stolz den Multikulti-Mix, der diese Stadt so einzigartig macht: Teehäuser mit arabischer Musik, Jazz Clubs, Tapas-Bars mit Flamencoeinlagen, brasilianische Restaurants mit Sambarhythmen, irische Pubs und dazwischen das eine oder andere Internetcafé. Im Kulturprojekt Santa Maria dello Spasimo kann man per Computer mit interaktiven Programmen die Geschichte Palermos erleben, denn bei aller Vergangenheit ist der Blick jetzt auf die Zukunft gerichtet.

Tanz auf dem Vulkan
Und ganz plötzlich wackeln die Wände
    Der padre im idyllischen Milo staunt nicht schlecht, als er seine kleine Kapelle betritt und den großen schwarzen Haufen Geröll neben dem Tisch mit der blütenweißen Decke unter dem Kreuz entdeckt. »Madonna Santa!«, ruft er aus, oder möglicherweise ist es auch ein etwas weniger christlicher Ausdruck, der über seine Lippen kommt, als sein Blick auf das mannshohe Loch in der Kapellenwand fällt, das der Schutthaufen gerissen hat.
    Signora Giuseppina aus Zafferana staunt nicht, sie kehrt nur noch. »Kaum bin ich mit dem Kehren fertig, kommt der nächste Ascheregen«, beschwert sie sich. Und sie muss sich beeilen mit dem Kehren, denn wenn es regnet, dann wird die Vulkanasche schnell hart wie Zement. Die feine Asche macht Straßen und Gehwege zu Rutschbahnen. An manchen Stellen sammelt sie sich mehrere Zentimeter hoch. Als wäre das Schneechaos ausgebrochen, befinden sich Raupen, Räumfahrzeuge und Kehrmaschinen im Dauereinsatz, nur beseitigen sie statt Schnee den schwarzen, schweren Sand von den Straßen.
    Signorina Lucia ärgert
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