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Lesereise Sizilien

Lesereise Sizilien

Titel: Lesereise Sizilien
Autoren: Natalie John
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Hauch durch die Blätter der Olivenbäume weht, erster Morgennebel über Flusstälern und Bächen liegt, das Land in Pastellfarben gemalt scheint, wenn in den Bars die Plastikstühle vom Schatten in die Sonne gerückt werden und sich die Urlauber an der Reling drängen, hält der Herbst Einzug. Im Oktober ist die Saison vorbei. Die Sizilianer sitzen dann friedlich lächelnd, endlich wieder allein. Die Winter sind zwar meist recht mild, doch lang anhaltende Regenfälle und wochenlange Stürme machen die kalte Jahreszeit ungemütlich auf der Insel. Die Sizilianer bleiben dann zu Hause, außer Polizei und Gangstern ist kaum jemand auf den Straßen unterwegs. Der Winter wird als Affront betrachtet, dem man am besten aus dem Weg geht und in eine Starre verfällt, die erst wieder nachlässt, wenn die Badesaison eröffnet ist. »È umido«, feucht ist es und nebbia gibt’s auch überall. In den Hochlagen im Landesinneren fällt sogar Schnee. Die Mandelblüte im Februar läutet das Frühjahr ein. Und dann kommt der Frühling, wenn die Kastanienwälder grün leuchten, die Sonne hoch am Himmel steht, in den Bars die Menschen draußen sitzen und ihre Gesichter wärmen. Röcke und Blusen flattern im Wind, eine ausgelassene Fröhlichkeit liegt über der Insel. Die Badesaison beginnt im Mai, Wohlfühltemperatur erreicht das Meer aber erst im Juni. Und dann gibt’s noch il tempo di Scirocco. Der Scirocco ist ein Wind, der aus Afrika kommt. Er beschert Sizilien heiße, trockene Luft, macht die Menschen fast besinnungslos vor Hitze. Wie eine schwere Decke hängt die Glut über der Insel. Man versucht, jede überflüssige Bewegung zu vermeiden, atmet möglichst flach, um nicht zu viel von der heißen Luft abzubekommen. Besonders Syrakus leidet unter dem heißen Wind, denn er weht an ungünstigen Tagen auch noch die schmutzige Luft von der petrochemischen Industrie vorbei.
    Die Insulaner selbst unterscheiden nur zwei Jahreszeiten: Von April bis Oktober, von November bis März. Eine Hälfte für die Fremden, eine Hälfte für sie. Das Bilderbuchsizilien wird inszeniert für die Fremden, die restlichen Monate bleibt Zeit, um das zu machen, was sie als Insulaner schon immer gerne gemacht haben – eigenbrötlerisch vor sich hin leben, jeder für sich.

Zwischen Orient und Okzident
Sizilien und das Erbe der Kulturen
    »Ich bin ein Pirat.« Wie er es so zwischen seinen Lippen mit rollenden schwarzen Augen hervorzischt, klingt es wie ein Versprechen und eine Drohung zugleich. Um seine Herkunft auch optisch zu unterstreichen, trägt er ein Tuch um den Kopf gebunden, wenn er am Strand auf Beutezug geht. Blasse Blondinen aus dem Norden bevorzugt. In den Adern der Sizilianer fließt ein Cocktail aus griechischem, römischem und normannischem Blut. Ein paar Tropfen von den Staufern, den Franzosen und den Spaniern sind auch dabei. Etwas Piratenblut wohl ebenfalls. Bei Leonardo verraten allerdings die paar blonden Strähnen, die unter seinem Tuch hervorspitzen, dass da eher die Normannen am Werk waren. Die Eroberer brachten Erbanlagen und Kunstschätze, aber sie beuteten die Bevölkerung auch gnadenlos aus. Plünderten, versklavten, mordeten. Die vielen verschiedenen Kulturen verfielen und verschwanden und sind dennoch allgegenwärtig. Geblieben ist vor allem eines: Noch heute hegt der Sizilianer größtes Misstrauen gegenüber allem, was vom Meer her kommt.
    Italiens größte Insel liegt im Mittelmeer verkehrsgeografisch so günstig wie auf einem Präsentierteller, kein Wunder also, dass es sich kaum ein Völkchen nehmen ließ, mal vorbeizurudern. Manchmal wanderten sogar unterschiedliche Völker gleichzeitig an verschiedenen Stellen ein, ohne voneinander zu wissen. Über die ursprünglichen Inselbewohner ist wenig bekannt, sie kamen wohl aus dem Orient. Die genaue Herkunft der ersten Kolonisatoren ist ebenfalls schwer nachzuvollziehen und auch nicht von allzu großer Bedeutung. Mit der verstärkt einsetzenden Schifffahrt wurde Sizilien immer wieder zum Ziel fremder Einwanderer, die kleinere oder größere Siedlungen gründeten. Darunter die Sikaner und die Sikuler, von denen möglicherweise der Name Sizilien stammt. Erst im ersten Jahrhundert vor Christus machten sich bedeutendere Völker auf Triankria breit, dem Land der drei Berge, wie die Insel in der Antike genannt wurde. Zuerst wanderten die von Karthago unterstützten Phönizier ein, dann die Griechen. Nicht aus Vorsatz, sondern aus wirtschaftlicher Not. Die griechischen Händler und
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