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Lesereise - Israel

Lesereise - Israel

Titel: Lesereise - Israel
Autoren: Gil Yaron
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Zahl russischer Einwanderer auf. Appartements, die als vierräumige Luxusdomizile geplant waren, wurden kurzerhand in kleine Zwei-Zimmer-Wohnungen umfunktioniert, in denen ganze Familien untergebracht wurden. Bis heute teilen sich Großfamilien dieselbe Immobilie.
    Die ersten russischen Einwanderer wollten sich noch völlig assimilieren. Damals dominierte in Israel noch die Idee des Schmelztiegels: Alle Einwanderer sollten eine »israelische Identität« annehmen und ihre Wurzeln vergessen. Shemtov sprach mit ihren Kindern kein Wort Russisch: »Ich wollte, dass sie echte Israelis werden.« Ihre große Tochter hat ein paar Brocken Russisch von der Großmutter aufgeschnappt, ihr kleiner Sohn versteht kein Wort. »Heute denke ich, dass ich einen Fehler gemacht habe«, sagt Shemtov. Je größer die Gemeinde der Russen in Israel wurde, desto geringer der Druck, sich zu assimilieren. Die zweite Generation kehrt zu ihren russischen Wurzeln zurück und ist stolz auf sie. Heute verkaufen im ganzen Land rund zweihundert Buchläden russische Literatur, jedes Jahr werden hier dreihundert russische Buchtitel veröffentlicht. Manche von ihnen werden im Ausland zu Bestsellern, im Inland bleiben sie unbekannt. Besonders die Älteren verbleiben in einem russischen Ghetto. Das israelische Kabelfernsehen bietet vier russische Kanäle, nur vierzehn Prozent der ehemaligen Russen sehen hebräische Sender. Selbst der ansonsten so israelbegeisterte Gerschow hat in seinem Büro ein grünes Landschaftsbild aufgehängt. »Das ist ein Tal nahe meiner Geburtsstadt Tuabse. Ich vermisse die grüne Natur«, sagt Gerschow. Trotz der nostalgischen Sehnsucht, vieler Probleme und Kriege sind die meisten geblieben. Nur acht Prozent der Einwanderer haben Israel wieder den Rücken gekehrt. »Spätestens nach zwei Wochen wollen alle aus Russland wieder herkommen. Hier fühlen wir uns richtig zuhause«, lacht der gemütliche Gerschow.

Der süße Nahe Osten
In einem Vorort von Tel Aviv bringt Hans Bertele Soldaten und Araber, Männer und Frauen, Juden und Muslime zusammen
    Das Paradies sieht hoffentlich anders aus. Die Betonwände im Treppenhaus starren vor Schmutz, steile Treppen und hohe Decken lösen selbst bei sportlichen Besuchern bereits in der zweiten Etage ein leichtes Keuchen aus. Doch hinter der unscheinbaren Tür im dritten Stock ist alles anders: Zig junge Israelis pilgern jedes Jahr in dieses heruntergekommene Gebäude in der Industriezone von Petach Tikwa, einem Vorort Tel Avivs, um einen Lebenstraum zu verwirklichen. Schnell schlüpft eine israelische Offizierin aus ihrer Uniform in dieselbe Kleidung wie der muslimische Araber, der wenige Minuten vor ihr angekommen ist. Willkommen im Reich von Hans Bertele, einem energischen deutschen Bäcker. Hier herrschen andere Regeln als draußen, egal, woher oder aus welchem Grund man kommt: Hände waschen, Hütchen aufsetzen und Plastikschürze anziehen, Punkt fünf Uhr beginnt der Kurs von Israels unangefochtenem Kuchenguru.
    Einer der Schüler ist der fünfunddreißig Jahre alte Eyal Harmann. Harmann hat bereits eine erfolgreiche Karriere hinter sich: Er ist verheiratet, hat eine Tochter und verdiente als Manager bei einer internationalen Hightechfirma ein vorzügliches Gehalt. Trotzdem fehlte ihm etwas: »Ich träume seit meinem achten Lebensjahr davon, Bäcker zu werden.« Seine Frau habe ihn bei seinem Entschluss unterstützt, seinen Traum zu verwirklichen. Also verließ er vor einem halben Jahr seinen sicheren Job in den Chefetagen, um seither einmal die Woche in Berteles Fabrik backen zu lernen. »Alle in der Branche wissen, dass Hans der Beste ist.« Die höchste Ambition des ehemaligen Managers ist heute, nach den dreißig Treffen in Berteles Kurs für drei Monate als Lehrling arbeiten zu dürfen, um weiter zu lernen.
    Ohne Schnickschnack oder Einleitung beginnt Bertele seinen fünfzig Minuten langen Vortrag über die Beziehung zwischen Mehl, Gluten und Hefepilzen. »Hefekuchen ist mein gefragtester Workshop«, sagt er und hebt die Stimme, damit sein mit Deutsch akzentuiertes Hebräisch das konstante Dröhnen der Kühlschränke, Backöfen und Teigmaschinen übertönt. »Nichts ist schwerer, als mit Hefe zu arbeiten«, sagt der sechsundsechzigjährige Bäckermeister und fährt fort, als beschriebe er ein Duell: »Hefe macht was sie will. Ihr müsst ihr von Anfang an zeigen, wer der Boss ist.« Resolut demonstriert er, wie der Teig geknetet werden soll, »damit er nicht außer Rand und Band
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