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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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zweite Laster, uns herauszuziehen. Oder umgekehrt. Hinterher suchen wir eine Alternativroute, hauen mit Äxten die querstehenden Bäume weg, finden nur Sackgassen, fangen von vorn an. Was jede Aktion stark verzögert, ist der Zustand des Materials, mit dem wir arbeiten. Die Schaufeln brechen, die Stiele der Äxte splittern, die Haken an den Stoßstangen lösen sich, das erste Abschleppseil, das zweite – vier Mann müssen es tragen – reißt.
    Es gibt Situationen, in denen ein Camion im Flussschlamm stockt und der andere auf der Suche nach einem Umweg in einem Moorloch endet. Befinden sich beide irgendwann, irgendwann fünf Stunden später, wieder auf trockener Erde, müssen wir anschieben. Die Batterien sind inzwischen leer. Anschieben bergauf. Funktioniert das, bleiben noch ein Dutzend Gründe, um noch immer nicht vom Fleck zu kommen. Der mehrmalige Hauptgrund: Die Rippen des Kühlergrills deformieren sich, verstopfen. Wegen Hitze, Überlastung, uralten Rosts. Das Alteisen ausbauen, geradebiegen, reinigen, einbauen. Ein Halbtagsjob. Damit uns nichts fehlt, wimmeln Moskitos und Fliegen. Und alle baden. In Schweiß. Fahren wir tatsächlich, muss einer den Schaltknüppel festhalten, damit er nicht rausspringt.
    Mehr als ihre körperliche Ausdauer, mehr als ihre technische Fantasie, mehr als alles das bewundere ich die innere Kraft der Männer. Verfluche, hasse und bereue ich, spüre ich mein Herz schrumpfen, bin ich vor physischer und psychischer Erschöpfung nicht fähig, irgendeine produktive Idee zur aktuellen, in meinen Augen hoffnungslosen Lage beizusteuern, machen sie weiter, murren nicht, suchen keinen Schuldigen, finden immer einen Notausgang. Was für mich ein einmaliges Ereignis ist, ist für sie der banale, ungeheure Alltag. Erdnusssäcke und (darunter) ein paar Kilo heiße Ware von Nyala nach Bangui transportieren, so leben sie, so verdienen sie ihr Leben. Bin ich auch Lichtjahre von jeder Religion entfernt, so sehe ich doch, wie sie Kraft holen von ihrem Gott, wie sein Trost, sein Versprechen auf ein nächstes, schwereloses Leben sie ausrüstet für die Hinnahme unsäglicher Zustände.
    Aber ein Zustand kommt, bei dem auch sie schreien vor Angst. Vierter Tag, von Weitem sehen wir braune Wolken über den Baumwipfeln. Als uns die fliehenden Heuschrecken entgegenkommen, bleibt kein Zweifel: Der Wald brennt. Zuerst ist der Anblick fantastisch. Links und rechts unseres Weges lodert das Gebüsch, mehrere Meter hoch züngeln die Flammen. Der nächste Kilometer vor uns sieht aus wie ein Tunnel aus Feuer. Aufregend, aber nicht gefährlich, da nach beiden Seiten hin noch genügend Abstand liegt. Sofort liefern die Männer eine spektakuläre Erklärung: Banditenfeuer, um Durchreisende zum Halten zu zwingen und leerzurauben. Wir fahren weiter. Und kein Straßenräuber taucht auf. Trotzdem wird es Minuten später hundsgefährlich. Der Tunnel verengt sich, und brennendes Holz liegt auf der Strecke. Modi, der Fahrer, stoppt. Wir alle stehen jetzt auf der Ladefläche und brüllen in Richtung Fahrerhaus. Die einen wollen weiterfahren, die andern zurück. Was auch nicht geht, nicht mehr. Denn inzwischen hat sich das Feuer zu nahe an den Rand des Pfades herangefressen. Als Modi zurückstößt, um mit Anlauf über den fünfzehn Meter langen Feuerteppich zu preschen, will ich abspringen. Neben mir steht das Hundert-Liter-Benzinfass, unser Reservetank. Lieber hetze ich zu Fuß durch die Glut als neben dieser Ladung in die Luft zu jagen. Aber ich entscheide mich zu spät. Modi ist bereits mit Vollgas im ersten Gang, und jemand reißt mich zurück. Mein schwarzer schesch , ein Geschenk der Tuaregs, fliegt mir vom Kopf. Jetzt – und nur dieser eine Gedanke hat noch Zeit: Jetzt ist es aus.
    Hinterher klingt das gehörig übertrieben. Der Tod kommt nicht, auch diesmal nicht. Nur das Hirn ist tot vor Angst. Nach wenigen Sekunden geht das Leben weiter. Modi ist durch, sogar die Reifen überlebten. Die Flammen lichten sich, unsere feuerhitzigen Köpfe kühlen im Fahrtwind.
    Neben einem Bach schlagen wir unser Nachtlager auf. Diesen Abend haben wir verdient. Heute kein Hirsebrei und fauliges Kanisterwasser. (Der Tee-Nachschub längst unterbrochen, die Kiste irgendwo versumpft.) Afrika in Hochform. Wir kratzen die Dreckkrusten aus dem Führerhaus, reinigen zum drittletzten Mal den Radiator, waschen die dreckigen Körper und dreckigen Kleider. Negat, der Koch, zieht aus der Reuse sechs Fische. Der dicke Niemat ruft zum Gebet. Ich
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