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Léonide (German Edition)

Léonide (German Edition)

Titel: Léonide (German Edition)
Autoren: Charlotte Schaefer
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Bald wirst du keine Schmerzen mehr haben.
    Beim Klang der Stimme zucke ich zusammen. Schnell übe r zeuge ich mich davon, dass Frédéric noch immer schläft, ehe ich mich aus den Bettlaken schäle und mich aufsetze. Das Holz unter meinen nackten Füßen scheint zu flüstern und zu pulsieren, als besäße es ein Eigenleben – als besäße das ganze Haus ein Eigenleben. Ich höre das Wispern in den Wänden, die Rufe unter dem Dach, den Klagegesang, der aus dem Ke l ler dringt.
    Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob ich Frédéric weite r hin vertrauen kann. Ich sage mir, dass es keine Rolle spielt. Ich spüre noch immer die Sehnsucht, die mich zu ihm hinzieht, gleichzeitig aber auch das Kalte, Gefährliche, das zwischen uns getreten ist. Misstrauen.
    Ich trete ans Fenster und öffne es. Nur am Rande meines Bewusstseins bemerke ich die Kälte, die mit der Meeresluft ins Zimmer weht. Sie atmet Frost, der zuerst winzige, dann größ e re Eisblumen auf dem Fensterglas und dem Holz des Ra h mens hinterlässt. Das Eis knistert, als könnte es das Fenste r glas jeden Augenblick zum Zerbersten zwingen.
    Ich atme die Luft und spüre, wie sie mir wie viele winzig kleine Nadeln aus Eis in die Kehle fährt. Ich huste und ha l te mir die Hand vor den Mund. Als ich sie wieder von meinen Lippen löse, ist sie blutig. Wie in Trance wische ich sie an me i nem weißen Hemd ab.
    Schwankend trete ich vom Fenster zurück, wo sich die Ei s blumen knisternd ausbreiten, immer schneller und schne l ler, bis nicht nur Holz und Glas, sondern auch die Wände und der Boden des Zimmers damit bedeckt sind. Sie kriechen über die Dielen auf mich zu. Ich weiche nicht weiter zurück; stattde s sen erwarte ich ihre Berührung, konzentriere mich darauf, wie der Wind mein Nachthemd bläht und das Mondlicht das blu t befleckte Weiß zum Leuchten bringt.
    Plötzlich eine Regung von Frédéric. Ich sehe, wie er in die Dunkelheit blinzelt, nur um eine Sekunde später wieder in den Schlaf hinüberzugleiten. Im Zimmer ist es totenstill. Als ich mich umschaue, sind die Eisblumen von den Dielen und dem Glas verschwunden – das Einzige, was an sie erinnert, ist eine zarte Kruste auf dem Fensterbrett.
    Einbildung , denke ich und zittere, ob vor Kälte oder etwas anderem, weiß ich nicht. Du bildest dir all das bloß ein. Es sind Halluzinationen, wie Frédéric gesagt hat .
    Das ist nicht wahr. Du weißt, dass es nicht wahr ist.
    Meine Füße tappen über den Dielenboden. Ich setze mich auf den Holzschemel vor der Kommode, blicke in den Spiegel und sehe mich einem schemenhaften Wesen gegenüber, das aussieht wie eine Fee aus Sagen und Mythen, eine dunkle Morgana mit finsteren Sturmaugen. Sie glänzen fiebrig, an i h ren Lippen klebt Blut. Es rinnt über ihr Kinn, tropft auf das Hemd, das sie trägt. Ich erkenne sie nicht wieder, dünn und zerbrechlich, wie sie ist. Das kann nicht ich sein. Sie kann nicht ich sein. Fremd sind mir ihr dunkler Blick, ihre lächel n den Lippen, das Blut.
    Da zerreißt der Augenblick. Der Spiegel zerspringt ohne j e des Geräusch – kein Singen, kein Klang von zersplitternden Scherben. Hinter meinem Rücken höre ich Frédérics ruhigen Atem, und obwohl ich mit dem Rücken zu ihm sitze und ihn in den Scherben des Spiegelglases nicht sehen kann, habe ich sein Bild vor mir: leicht geöffnete Lippen, traumschwer ve r hangene, sich unter den Lidern bewegende Augen, erzitternde Wimpern.
    Inzwischen hat sich das Gesicht der Fremden verändert, es erscheint mir schon weniger fremd. Ein zerbrochenes Gesicht, leere Augen, schimmernde Narben auf der Haut. Auf ihrer Stirn brennt ein schwarzes Symbol; als ich mich dem zerbr o chenen Glas näherte, erkenne ich es. Ein Drudenfuß, wie mit Kohle auf die blasse Stirn gemalt.
    Du weißt, was dieses Mal bedeutet, Léonide. Das Pentakel, der Flammende Stern – es ist an der Zeit.
    Ich strecke die Hände nach dem Spiegel aus und breche eine Scherbe aus dem Glas. Ihre scharfe Spitze bohrt sich in m eine Fingerkuppe, das Blut rauscht in meinem Kopf und tropft auf das Holz der Kommode. Die Scherbe ragt wie ein Dolch aus meiner Hand und wirft das Mondlicht an die Wä n de zurück. Urplötzlich ist das Zimmer in blendendes Licht getaucht. Ich höre einen sanften Singsang. Als ich wieder in den Spiegel bl i cke, begreife ich, dass ich selbst es bin, die aus halb geöffneten Lippen leise vor sich hinsummt.
    Du musst keine Angst haben. Ich werde alles dafür tun, dass du keine Schmerzen spürst.
    Ich
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