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Lenke meine Fuesse Herr

Lenke meine Fuesse Herr

Titel: Lenke meine Fuesse Herr
Autoren: Christian Wittenberg
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das Blatt mit dem Jakobsgebet von Pfarrer Danner und mein Pilgerlied für ihren eigenen Pfarrer. Bis nach neun Uhr — also zwei Stunden — schreibe ich eineinhalb Tage Tagebuch nach. Ich bin heute noch müder als gestern, doch eines weiß ich: Die Schweiz ist schön und die Schweizer sind nette Leute!

Dienstag, 10. Mai 2005
Affeltrangen – Hörnli 22 km

    Um halb neun gibt’s ein wunderbares Frühstück — vorher war ich ausgiebig in der Luxusdusche. Frau Hösli erzählt, dass die Stammgäste gestern starke Zweifel geäußert hätten, dass ich den Weg nach Santiago schaffe. Ich nehme mir vor: Da schicke ich eine Karte hin!
    Zehn vor neun bin ich auf der Straße. Heute will ich aufs Hörnli — von 511 Metern hoch auf 1133! Der Weg führt durch herrlichen Wald, die Sonne scheint, ich gehe mit hochgekrempelten Ärmeln — eine Lust nach dem vielen Regen der letzten Woche! Weiter, bergauf und bergab zum Ortseingang von St. Margarethen: schöne alte Kapelle. Auch die Kirche im Ort gefällt mir, lustig sind die jahrhundertealten Pilgergraffiti . Dann geht’s wunderschön an der Murr entlang bis hinter Sirnach. Als ich mich auf die Bank vor dem Wirtshaus setze und die Schuhe wechsle, kommt gleich die Saaltochter und ich bestelle notgedrungen ein großes Mineralwasser — gut, aber teuer (4,00 CHF)!
    Bei Wiezikon gehts zum ersten Mal richtig steil bergauf. Meine Kondition ist schlimm! Alle zwanzig, dreißig Schritt muss ich verschnaufen! Endlich Fischingen: Kurz vorher stehe ich in einem Hohlweg plötzlich vor einem großen Fuchs. Wir sehen uns groß an, dann springt er mit einem eleganten Satz ab.
    In Fischingen ist die Klosterkirche leider eine einzige Baustelle, nur die Idda-Kapelle ist besuchbar. Aber wenn die ganze Kirche so ist: welch Kleinod! Vor dem Idda-Altar eine Bank, in der Vorderseite des Altars ein großes Loch: Da soll der Pilger seine müden, schmerzenden Füße hineinstecken, Idda verschafft Linderung! Ich probiere es natürlich aus und habe das Gefühl: Es hilft!
    Im Sekretariat des Klosters stempelt man mir meinen Pilgerpass — vorher hatte ich schon in St. Margarethen gestempelt. In den Pilgerbüchern dort und hier sind drei Tage vor mir vier Damen aus Oberschwaben eingetragen — ob ich die wohl einhole?
    Die Sekretärin im Kloster meint, bis aufs Hörnli schaffe ich’s noch locker. Sie ruft dort an, der Wirt möge auf mich warten, denn der fährt abends immer ab ins Tal. Der Aufstieg nach Au ist mörderisch — zwar nur 60 Höhenmeter, aber steil! Im Ort gehe ich in die St. Anna-Kirche. Dort ist gerade die Maiandacht zu Ende — nett, wie die Leute einen begrüßen. Der Weg aufs Hörnli macht mich endgültig fertig: Von 691 Metern auf 1133! Steil, Treppen, Treppen, steil. Wie schaff ich das bloß?!! Zwischendurch treibt ein Bauer sein Vieh ein — ich bin froh, dass ich warten muss. Dann eine Tafel: Ab hier heißt es nicht mehr Schwabenweg, sondern Jakobsweg. Ich habe den Thurgau verlassen und bin im Kanton Zürich. Und wieder mal klatschnass: Seit Fischingen regnet es, und seit einer Stunde fallen Graupel und dicke Schneeflocken dazwischen.
    Endlich oben — man hatte mich kaum noch erwartet und empfängt mich mit den Worten: „Da sind Sie ja endlich! Die andere Dame ist auch schon hier!“ (Man hatte geglaubt, die Klostersekretärin käme aufgestiegen).
    „Die andere Dame“ ist Inge aus Dortmund. Sie ist vor zwei Jahren den Camino von Le Puy bis Santiago gelaufen und läuft heuer von Konstanz nach Le Puy. Wir waschen Wäsche und drapieren sie über die Heizungen, schwatzen, der Wirt kommt, spendiert Absinth und macht mir noch eine Lasagne — guuuuut!!
    Inge ist schon im Bett, ich mache gleich das Licht aus. Morgen wollen wir gemeinsam nach Rapperswil gehen — sie hat dort einen Bekannten, den sie auf dem Camino kennen gelernt hat. Ich komme kaum auf das Stockbett, so fuß- und kreuzlahm bin ich! Todmüde, doch ich kann lange nicht einschlafen...

Mittwoch, 11. Mai 2005
Hörnli – Rapperswil 27 km

    Ich wache gegen halb sieben auf. Draußen ist herrliche Sonne und ein wunderbarer Blick. Ich zaubere heißes Wasser aus der Espressomaschine, Inge spendiert Neskaffee und Waffeln zum Frühstück. Packen, aufladen, von außen absperren. Während ich noch ein paar Bilder mache, deponiert Inge den Schlüssel im Briefkasten. Wir wollen gerade los, da merke ich, dass wir meine Stöcke in der Hütte eingeschlossen haben. Der Schlüssel ist unerreichbar! Also läuft Inge alleine los, während ich
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