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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du
Autoren: Laura Wulff
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urige kleine Eckkneipe mit dunkel vertäfelter Theke, billigen Nachbildungen von Amphoren auf den Holztischen und hinter Glas eingerahmten, inzwischen gelbstichigen Zeitungsartikeln über Ausgrabungen und Funde aus dem antiken Köln. Marie hätte schwören können, dass das Interieur seit der Eröffnung nicht erneuert worden war, musste aber zugeben, dass das Ambiente seinen ganz eigenen gemütlichen Charme besaß.
    Er winkte ab. „Später.“
    Was so viel bedeutete wie nein. Diese Antwort kannte Marie zur Genüge und sie machte sie zunehmend wütend. „Auch wenn du das nicht hören willst, du brauchst professionelle Hilfe.“
    „Ich gehe nicht zum Psychodoktor.“ Er rollte an ihr vorbei in die Küche, als wollte er damit andeuten, dass das Gespräch über dieses Thema für ihn beendet war.
    Aber so leicht ließ Marie nicht locker und folgte ihm. Schließlich hing auch ihr Glück davon ab, dass ihr Mann wieder zurück in den Alltag fand. Noch stand ihre Ehe nicht auf dem Spiel. Marie, so zierlich sie auch aussah, war eine Kämpfernatur. Aber es tat ihr weh, dass er litt, und sie konnte nicht voraussagen, wie lange sie seine schlechte Laune ertragen konnte. Sie hatte eine Heidenangst davor, dass sie sich voneinander entfernten. Seit Monaten mied er Körperkontakt, und wenn, dann ging die Initiative von ihr aus. Marie sehnte sich nach Zuneigung, nicht nur nach Berührungen, sondern auch nach geistiger Zuwendung von ihm, denn er wich ihrem Blick oft aus und floh aus dem Raum. Oft schloss er sie aus seinem Leid aus, kapselte sich ab. Sie glaubte, dass er deshalb so viel Lesestoff verschlang, nicht weil er Freude daran hatte, sondern um in eine andere Realität zu flüchten, beschäftigt zu wirken und in Ruhe gelassen zu werden.
    Vielleicht glaubte er, wenn er versuchte, mit seinem Kummer alleine fertig zu werden, würde es die Situation einfacher für Marie machen, doch das Gegenteil war der Fall. Sie fühlte sich ausgegrenzt und sie drang immer schlechter zu ihm durch.
    Demonstrativ stellte sie sich in den Türrahmen, damit er ihr nicht erneut entwischen konnte. „Dann helfe ich dir, Gleichgesinnte zu finden, damit du dich in lockerer Umgebung austauschen kannst. Es gibt doch sicher private Gruppentreffen in einer Großstadt wie Köln.“
    „Was nutzt es, sich das Gejammere der anderen anzuhören?“ Er nahm Mineralwasser aus dem Kühlschrank und trank direkt aus der Flasche, weil er sich wohl die Blöße nicht geben wollte, eins der Gläser zu nehmen, die sie für ihn auf die Anrichte gestellt hatte, weil er an die Oberschränke nicht herankam.
    „Ihr könntet etwas zusammen unternehmen.“ Damit er merkte, dass man auch im Rollstuhl vieles sehen und erleben konnte. Er war schließlich nicht ans Bett gefesselt. Aber er tat, als könnte er außerhalb dieser Wohnung nicht atmen. Sie hatte Verständnis für seine Unsicherheit, doch irgendwann musste er es überwinden.
    „Ein Ausflug der Krüppel? Besten Dank auch. Keinen Bock auf Kinderbelustigung, mitleidige Blicke und Getuschel hinter meinem Rücken.“
    „Du bist dünnhäutig geworden.“ Ihr Blick glitt zum Fenster, das gekippt war. Kühle Abendluft drang herein, aber Marie wollte in diesem Moment ihre Position nicht verlassen, um es zu schließen. Sie zog den geblümten Schal enger um ihren Hals.
    „Angreifbarer.“
    „Du benimmst dich wie ein Aussätziger, Daniel. Die Menschen tun dir nichts. Lass sie doch gucken, lass sie doch reden. Was schert es dich? Früher war dir so was egal.“
    „Früher war alles anders.“
    „Du kannst nur nicht mehr gehen. Der Rest ist dir geblieben.“ Marie stemmte eine Hand in ihre Hüfte. „Dein Job zum Beispiel.“
    „Ich darf nicht mehr im Kriminalkommissariat 11 arbeiten.“
    Mit einem Mal fühlte sie sich erschöpft. Sie setzte sich auf einen Küchenstuhl. „Deine Freunde.“
    „Sie trinken ihr Kölsch auch ohne mich.“ Er stellte die Flasche auf den Tisch. Den Schraubverschluss legte er daneben.
    Resignierend lehnte sie sich an. „Ich.“
    „Wer weiß, wie lange noch“, sagte er leise.
    Schnaubend rutschte sie bis zur Stuhlkante vor, um Daniel näher zu sein. Dabei blieb ihre blickdichte schwarze Strumpfhose irgendwo an der hölzernen Sitzschale hängen. Marie sah sie nicht, spürte jedoch, wie sie sich eine Laufmasche riss. „Ich habe nicht vor, dich zu verlassen. Aber langsam bekomme ich den Eindruck, dass du mich rausekeln willst.“
    Er schüttelte seinen Kopf, schaute jedoch zu Boden. „Vielleicht
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