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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Autoren: Tom Liehr
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kalte Wasser. Prustend, dabei über beide Backen strahlend, zog er ein paar Runden, zwar weit entfernt vom Kampfschwimmer, doch immerhin konnte er es: Kurz vor dem Führerscheinkurs hatte er sein Seepferdchen gemacht. Als er nach drei Minuten aus dem Wasser stieg, überzog ihn eine intensive Gänsehaut. Er bibberte noch minutenlang, aber seinem Stolz tat das keinen Abbruch. Henner konnte endlich schwimmen.
    Sein Ausstieg hatte sich weniger tragisch gestaltet, als er erwartet hatte. Consuela hatte natürlich längst geahnt, wo die Kröte unkt , und ihn nach der Ankündigung, sich aus Pfarramt und Ehe nunmehr zurückzuziehen, zwar mit wochenlanger Nichtachtung gestraft, aber schließlich doch in seinen Kompromissvorschlag eingewilligt. Die Familie lebte nach wie vor – in wilder, weil demnächst geschiedener Ehe – zusammen, wenn auch nicht mehr im von der Gemeinde gestellten Haus, sondern im Süden von Neukölln, nicht weit von Marks ehemaligem Wohnort. Henners Erbschaft reichte aus, um finanzielle Schwierigkeiten zu vermeiden, außerdem willigte die Kirche in eine Vorruhestandslösung ein, zudem verdingte sich Consuela als Tagesmutter, was ihr erlaubte, den Kinderbestand weiter zu erhöhen, ohne sammelnd herumzureisen. Meggs & Pollend zahlte zwar keinen exorbitanten Vorschuss, aber das Buch hatte solide Vormerkerzahlen, und ich ging davon aus, dass Henner für mehr als nur einen Fernsehtermin gebucht werden würde – er würde sich exzellent in Talkshows machen, vor allem der lässige, entspannte, des Schwimmens mächtige Henner, der sich nach der befreienden Metamorphose präsentierte. Das und seine originelle Vita würden die Presse auf den Plan rufen – kurz gesagt, ich ging von einem kleinen Bestseller aus. Das Thema war mit »Glauben ohne Götter« längst nicht erschöpft; zwei Folgetitel hatte er bereits konzipiert, für Henners Auskommen war also gesorgt.
    Mark verschwand unter Deck und kehrte drei Minuten später zurück, wobei er etwas verschämt grinste. Seine Kokserei war nicht vom Tisch, vermutlich würde das, wenn es überhaupt je eintrat, noch eine Weile dauern. Aber er arbeitete daran, wie er entschieden versicherte, wenn ich ihn traf, was während der vergangenen Monate einige Male geschehen war. Inzwischen volontierte er in einer Werbeagentur, die für den Verlag arbeitete. Ich empfand das eigentlich als eine Überstrapazierung meiner Kontakte, aber die Agentur hatte tatsächlich gesucht, was einen Sonderfall für den Bereich »Ich mache was mit Werbung« darstellte, und Mark gab nicht weniger als alles. Volontariat bedeutete allerdings vorläufig nicht viel, obwohl ihn die Agentur stark beanspruchte, und es gab die Wahrscheinlichkeit, dass er anschließend keinen Vertrag bekäme, aber es war etwas anderes, was an dieser Situation bedeutsam war: Mark versuchte es allein , mit einem richtigen Job, den er ernst nahm. Es existierte kein Adoptiveltern-Backup mehr und kein Rettungsnetz in der Nähe des U-Bahnhofs Parchimer Allee, sondern lediglich Mark Rosen solo. Und er schien das tatsächlich zu begreifen. Möglicherweise würde er noch drei-, viermal auf die Fresse fallen, aber er hatte verstanden, dass es nur eine Möglichkeit gab, sein Leben mit einem Sinn zu versehen: indem er aktiv danach suchte.

    Simon kehrte um kurz nach Mitternacht aufs Boot zurück, neben seinem Seesack hatte er nur ein einziges Mobiltelefon als Gepäck. Außerdem trug er eine Flasche unter dem Arm, die eine klare Flüssigkeit enthielt. »Wir trinken aber höchstens eine oder zwei Runden«, sagte er grinsend, wobei er seinen renovierten Unterkiefer präsentierte.
    Wir tranken zwei Runden Ouzo, studierten dabei die Gewässerkarte und einigten uns darauf, am nächsten Morgen in Richtung Rheinsberg aufzubrechen. Ich stellte mein leeresGlas ab, ging unter Deck und zog einen sorgfältig gefalteten Zettel aus der Reisetasche, auf dem sich ein einzelner Buchstabe und eine Telefonnummer befanden, dann schaltete ich mein Mobiltelefon ein und tippte eine Kurznachricht.

    Morgen Abend, Rheinsberg. Ich freue mich.

Nachbemerkung
    Einen Urlaub, wie ihn die vier Leichtmatrosen in diesem Buch ausprobiert haben, kann man ohne Bootsführerschein (im Amtsdeutsch: »Sportbootführerschein Binnen«) auf den riesigen Revieren der Mecklenburgischen Seenplatte und auf den Brandenburger Seen zwischen Zehdenick (etwa 40 km nördlich von Berlin), Schwerin und Dömitz/Elbe selbst machen. Dafür muss man nur einen der vielen Charterer finden, die
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