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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Autoren: Tom Liehr
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cm) war zwar rührend, sogar absolut hinreißend, wenn auch seine soziale Interaktionsfähigkeit diejenige eines Goldhamsters noch kaum überschritt, aber während der sechs Monate Elternzeit hatte ich bestenfalls eine Handvoll Nächte durchgeschlafen. Das war etwas, auf das ich mich – unter anderem – sehr freute und auf das ich hoffte: Schlafen . Rosa, Coras Mutter, deren Verhältnis zu mir sich seit der Geburt deutlich entspannt hatte, ohne dass ich ihr die Piesackerei bereits völlig vergab, war für die kommenden zwei Wochen in unsere Wohnung gezogen, um Kleinfinke zu umsorgen, weil Cora in Tourvorbereitungen steckte und parallel Promotermine für das neue Album absolvierte. Außerdem arbeitete ich, trotz Elternzeit: Greta Meggs hatte mich vor einem Dreivierteljahr zum Programmleiter »Sachbuch/populär« gekürt, wodurch ich, Elternzeit hin oder her, einmal pro Woche im Verlag aufzuschlagen und ansonsten per »Home Office« tätig zu werden hatte, eine Hand am Rechner und die andere am permanent servicebedürftigen Käfer , den wenig interessierte, was ich parallel kulturell veranstaltete. Das kommende Herbstprogramm Sachbuch/populär verantwortete ich quasi allein, was ein zusätzlicher Grund für viel Stolz war, von dem ich derzeit in jeder Hinsicht überquoll. Es war zweifelsohneschön, die Dinge zu tun, die Entscheidungen folgten, davon abgesehen raubte Cora einen Gutteil meiner verbliebenen Schlafenszeit, indem sie mich körperlich rannahm, als hätten wir uns gerade erst kennengelernt. Manchmal sah sie mich nach dem Sex minutenlang schweigend mit ihren riesigen Augen an, als ließe sich auf diese Weise herausfinden, ob ihre Bemühungen geeignet wären, mich zur Einhaltung der gegenseitigen Versprechungen zu bringen: Treue, Loyalität und Ehrlichkeit. Ich konnte nachgerade fühlen, woran sie dachte, und lächelte dann meistens nach einer kleinen Weile.
    Also legte ich mich auch gleich nach der Schleuse Steinhavel aufs Vorschiff und schlief augenblicklich ein, auf der Brust ein leerer Becher Mousse au Chocolat.

    Am Anleger wurden wir von Karola herzlich begrüßt, die umgehend kürzlich eingetroffenen Charterurlaubern den Liegeplatz wieder entzog, denn der Hafen war proppenvoll.
    »Das ist ja großartig, dass ihr noch rechtzeitig zum Auftritt gekommen seid«, sagte sie dann, während der Topf mit der konsternierten Kleinfamilie etwas ziellos auf dem Ellbogensee herumdümpelte.
    »Auftritt?«, fragten wir im Chor.
    »Ihr wisst das nicht? Simon spielt heute Abend in Neustrelitz. Premiere. Hat er euch das nicht erzählt?«
    Hatte er nicht .
    Eine Taxifahrt und zwei Stunden später saßen wir mit dreihundert anderen Leuten – zumeist Freunden und Bekannten der Darsteller – in einem kleinen, ziemlich miefigen Saal, und dann spielte Simons fünfzehnköpfige Laientheatergruppe eine angestaubte, nahezu pointenfreie Komödie aus den Siebzigern, verfasst von einem italienischen Autor, dessen Name mir nichts sagte – immerhin aber war mir bekannt, dass die Laientruppen selten an die Aufführungsrechte für wirklich gute Stücke kamen und deshalb Zeug spielenmussten, das sogar die zuschauerfreien, öffentlich geförderten Provinzbühnen übrigließen. Der Abend wäre zu einem quälenden Fremdschämerlebnis geworden, siebzig Minuten holprige, krass fehlbesetzte, völlig talentfreie, absolut unlustige Peinlichkeit – wäre da nicht Simon in der Hauptrolle des Künstlers gewesen, der für einen anderen, charismatischeren, besser aussehenden (eine Behauptung des Programmhefts) die Gemälde malt und schließlich – wie überraschend – aus dessen Schatten tritt, um am Ende auch noch die (wiederum nur behauptet) hübsche Braut abzuräumen. Simons Auftritt und Abgang waren wie die Klammern, die den faden, hölzernen Scheiß um mehrere Ebenen emporhievten. Mit seinem runderneuerten Gebiss überstrahlte der kleine, auf der Bühne aber äußerst präsente Mann sie alle; er war der Einzige, der wirklich spielte , während die anderen lediglich Texte aufsagten, und der Schlussapplaus galt allein ihm, wie ihm auch erkennbar bewusst war.
    »Nicht zu fassen«, hauchte Henner, während wir noch applaudierten und eine freudentränenüberströmte Karola dem eigenen Partner knicksend Blumen überreichte (wobei sich Simon offensichtlich nach einer Zigarette verzehrte – diese Mimik war eindeutig).
    »Das Stück war ja richtig Scheiße«, sagte Mark etwas lauter, was Gezische auf den Nebenplätzen auslöste. »Aber Simon
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