Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
Vom Netzwerk:
deutlich aus, so dass die Ufer und sogar die Ausfahrtbaken auszumachen waren, wenn man die Augen zusammenkniff und das Ziel ausreichend lange fixierte. Ein faszinierendes und irgendwie beklemmendes Erlebnis. Es war mir unmöglich, die Geschwindigkeit des Schiffes abzuschätzen, dazu kam die nur vom Plätschern und Motorgeräusch des Bootes unterbrochene Stille. Niemand sonst war auf die Idee gekommen, zu dieser unchristlichen Uhrzeit aufzubrechen. Auch der Ziernsee lag völlig still, und an Bord blieb es ebenso ruhig. Simon saß, schweigend und rauchend, am Bug, während wir anderen drei im Salon herumlungerten und in alle möglichen Richtungen glotzten.
    Dann verließen wir auch den Ziernsee, bogen in die Steinhavel ein, erreichten kurz darauf den Menowsee, unseren ersten nächtlichen Ankerplatz. Danach wurde es etwas brenzliger, fast wie in jener Nacht, als wir Simon abgeholt hatten, nur in umgekehrter Richtung. Der Nebel schien sich wellenartig anzuheben und abzusenken. Manchmal betrug die Sicht geschätzt zwanzig, dreißig Meter und sank dann schlagartig auf einen Wert nahe null ab. Henner am Steuer schwitzte stark, obwohl es im Boot empfindlich kühl war. Der Drehzahlmesser zeigte gerade noch so an, dass der Motor arbeitete, aber das doch recht plötzliche Auftauchen der Straßenbrücke Steinförde über uns überraschte die komplette Besatzung.
    »Wow«, flüsterte Mark.
    »Wir sollten vielleicht anhalten«, sagte Henner, das Gesicht tropfnass von Schweiß und Luftfeuchtigkeit, während er hektisch der Tatsache Rechnung trug, dass die Steinhavel eine Kurve vollführte – die wir nicht wirklich sehen konnten, nur die Karte verriet das. Hier musste eine Kurve sein.
    »Wir können hier nicht anhalten«, sagte ich. »Sind denn wenigstens alle Lichter an?«
    Henner nickte.
    Nur wenig später – ob wir nun hundert oder nur zwanzig Meter von der Brücke entfernt waren, keine Ahnung – wurde es vor uns etwas besser. Der Pfarrer schnaufte, und ich konnte Simons Zigarettenqualm wieder vom Nebel unterscheiden. Henner kämpfte; das Boot befand sich riskant dicht am rechten Ufer.
    An der Schleuse war niemand, aber offenbar war auch im Wärterhäuschen kleiner. Die Ampel zeigte doppelrot – Schleuse außer Betrieb.
    »Es ist zehn nach sieben«, schimpfte Henner.
    Als hätte das jemand gehört, sprang die Ampel auf Grün um, während sich zugleich auf gespenstisch geräuschlose Weise die Tore öffneten. Erstmals während dieser zehn Tage fuhren wir völlig allein in eine Schleuse. Um kurz vor halb acht verließen wir sie wieder, winkten dem Wärter, der das ignorierte, und während wir das restliche Stück Steinhavel befuhren, änderte sich das Wetter auf einmal. Die letzten Nebelfetzen lösten sich auf, dafür setzte starker Wind ein, dessen tatsächliche Stärke wir anhand der sich heftig neigenden Baumspitzen nur abschätzen konnten, aber erst zu spüren bekamen, als wir aus dem Flüsschen in den See einbogen, an dem der Heimathafen lag. Schlagartig wurde die Tusse um gute zwanzig Meter versetzt, das westliche Ufer glitt rasch auf uns zu, schaumgekrönte Wellen klatschten gegen Bug und Seitenwände. Trotz Vollgas, Simons Spezialtuningund stark eingeschlagenem Ruder rackerte das Schiff scheinbar erfolglos gegen die Böen an. Mark turnte, die Haare im brausenden Wind wehend, über das Deck und sammelte ein, was nicht befestigt war oder noch an Wäscheklammern an der Reling hing, sogar die Plastikstühle von der Heckterrasse musste er reinholen. Simon schaffte es nicht, sich im Salon Zigaretten anzuzünden, obwohl nur die Hecktüren geöffnet waren, und musste dafür immer wieder unter Deck gehen. Außerdem war das Schauspiel bemerkenswert laut; es kam mir sogar sehr viel lauter vor als das Gewitter an der Schleuse Schorfheide, und natürlich krachte und klirrte es wieder in den Schränken. Wir mussten – überwiegend nutzlose – Anweisungen und Hinweise schreien, während das stampfende, zitternde und schwankende Boot wie in Zeitlupe und nahezu unmerklich die Distanz zum Hafen verringerte, wobei redlich starke Gischt an Bug und Backbord hochspritzte. Zwei bauartähnliche, aber kürzere Schiffe trudelten dicht vor dem Ufer herum, das eine Schiff strandete dann, im windgepeitschten Schilf verschwindend, während die Besatzung des anderen kurzerhand den Buganker auswarf und sich so wenigstens eine vorübergehende Verschnaufpause verschaffte – allerdings zerrte der Wind auch an diesem Boot so stark, dass es sich weiter

Weitere Kostenlose Bücher