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Lehrerzimmer

Lehrerzimmer

Titel: Lehrerzimmer
Autoren: Markus Orths
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reinkomme, rief ich, ach so, sagte er, kommen Sie her, sagte er, wohin, fragte ich, hierher, sagte er, letzte Reihe. Ich tastete mich durch die Dunkelheit, gelangte zu Linnemann, nahm ihm den Schlüssel ab, machte kehrt und war schon an der Tür, als Linnemann noch rief, aber Sie müssen den Schlüssel zurückbringen, Kranich. Ich blieb stehen. Wann? rief ich. Gleich, nachdem Sie unten aufgeschlossen haben, Sie haben ja gehört, was der Chef gesagt hat, am Ende sind Sie noch der Geheime Sicherheitsbeamte. Keine Angst, sagte ich, ich bring ihn zurück. Ein wenig verschwitzt kam ich unten an, stocherte den Schlüssel ins Schlüsselloch des SG 4 und musste feststellen, dass die Tür gar nicht abgeschlossen und der Raum bereits besetzt war. Es war Herr Bruns mit irgendeiner Mittelstufe. Was wollen Sie denn hier? entfuhr es ihm. Ich sagte, ich hätte mit Linnemann die Räume getauscht, und Linnemann habe gesagt, stundenplantechnisch habe er jetzt eigentlich hier Unterricht, in diesem Raum, sodass der Raum, das SG 4, jetzt, da Linnemann ja oben, im dritten Stock sei, eigentlich leer sein müsste. Ja, schon, sagte Bruns, aber er habe seinen eigenen Raum im Erdgeschoss verlassen, weil der Lärm von den Umbauarbeiten im benachbarten Eingangsbereich unerträglich geworden sei. Wenn ich es wünsche, sagte er, gehe er aber wieder zurück ins EG 3. Nein, nein, sagte ich, bleiben Sie hier, das ist viel zu umständlich, ich geh schon. Damit schloss ich die Tür, sagte den Schülern, sie sollten zum EG 3 gehen, ich sei gleich zurück, ich müsse noch einmal kurz weg, und einer der Schüler fragte mich, ob er noch eine rauchen könne, ehe ich den richtigen Raum gefunden hätte. Ich beachtete seine Frage nicht, sondern flog die Treppen hinauf, ins dritte Geschoss, öffnete die Tür und rief nach Linnemann. Ja? Ihr Schlüssel, rief ich und tastete mich nun schon gewandter durch die Dunkelheit. Danke, sagte Linnemann. Ich lief hinunter ins Erdgeschoss, und vor dem noch abgeschlossenen EG 3 warteten meine Schüler. Ich schloss auf, sie gingen hinein, und als ich gerade die Tür hinter mir schließen wollte, ertönte eine Sirene. Feueralarm, gähnte einer der Schüler und ging an mir vorbei wieder hinaus. Machen die jedes Jahr am ersten Schultag, sagte der Zweite. Den Dritten fragte ich, was ich jetzt tun solle. Fenster zu und Klassenbuch retten, sagte er, der Rest kann verbrennen.

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    D a ich in der fünften Stunde keinen Unterricht hatte, griff ich mir zunächst meine vorbereiteten Kopiervorlagen und kopierte mich durch einen Zettelberg, wobei ich den tonigen Atem des Kopieres einsog und mich ärgerte, dass ich meinen im ersten Referendariatsjahr gekauften Mundschutz vergessen hatte. Ich war noch nicht ganz fertig, als bereits das Klingelzeichen ertönte, Höllinger das Lehrerzimmer betrat und die aus dem Unterricht einträufelnden Lehrer mit leichten Nickbewegungen begrüßte. Als alle versammelt waren, begann Höllinger den zweiten Teil der Konferenz mit den Worten, er wolle nun die Resultate der Direktorenkonferenz zusammenfassen, die gegen Ende des letzten Schuljahres stattgefunden habe. Dort habe man unter anderem über die Ergebnisse der sogenannten Großen Studie gesprochen. Die bundesrepublikanischen Schulen seien laut dieser Studie nicht, wie gewohnt, an der Spitze der Rangliste zu finden, sondern in den unteren Regionen. Als Gründe für diesen misslichen Tatbestand habe die Studie unter anderem die in deutschen Schulen übertriebene Betonung des Leistungsdenkens genannt. Man habe sich nun in der Direktorenkonferenz darauf geeinigt, alles dafür zu tun, Deutschlands Schulen aus der gegenwärtigen Krise herauszuführen und wieder dorthin zurückzubringen, wo sie einst thronten, an die Spitze nämlich. Um diese Rückkehr in den Kreis der Besten zu ermöglichen, habe man gesagt, wolle man die erneuerten Richtlinien der Kultusministerkonferenz bezüglich der Erhöhung des Einsatzes von Kreativitätsdarbietungen im Unterricht bedingungslos akzeptieren und umsetzen. Grund für diese Maßnahme sei das in der Großen Studie bemängelte Fehlen der Fähigkeit zu selbstständigem Arbeiten seitens der deutschen Schülerschaft. Folglich seien wir, die Lehrer, dazu angehalten, uns das neue, soeben erschienene Methodenheft der Reihe Praxis im Unterricht mit dem Titel Lehrerhilfen zur Anleitung von Schülern für ein selbstständiges Hervorbringen von Kreativitätserzeugnissen aller Art durchzulesen und in den Unterricht einzuarbeiten. In
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