Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst

Titel: Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst
Autoren: W Mass
Vom Netzwerk:
geschmuggelt haben. Das war die Sache absolut wert.« Ganz leise murmelt sie: »Und er hat Eistee über uns geschüttet, kein Wasser.«
    Sie verlässt die Küche und holt ihr Schaubild. Jeder Plan hat ein Schaubild. Manche sind sogar mehrfarbig gestaltet. Ich stelle die Kassette auf den Tisch, setze mich hin und warte. Lizzy muss ihre Spielkartensammlung angeschaut haben, bevor ich gekommen bin, denn die Karten liegen auf dem Tisch ausgebreitet. Ich habe meine Sammlung von Süßigkeiten in Fehlformen, Lizzy hat ihre Spielkarten. Während ich aber ein Fundstück mit Freuden von jedem akzeptiere, der es entdeckt hat, nimmt Lizzy eine Spielkarte nur dann in ihre Sammlung auf, wenn sie selbst sie an einem öffentlichen Ort gefunden hat. Es dürfen auch keine doppelten Karten sein und sie sucht nicht an einschlägigen Stellen wie etwa auf dem Gehweg vor dem Bridge Club in der 33rd Street. Sie findet lieber welche in
der U-Bahn oder auf einer Parkbank oder wenn sie aus einem Gully herausragen. Es fehlen ihr nur noch drei – die Kreuzzwei, die Herzacht und der Karobube.
    Ich erinnere mich noch, wie stolz mein Vater war, als Lizzy mit ihrer Sammlung anfing. Er fand das sehr kreativ. Ich meine, klar, ein komplettes Kartenspiel zusammenzustellen, indem man die Karten einzeln findet, ist sicherlich mal etwas anderes, aber man kann es jedenfalls hinterher nicht essen, so wie meine Sammlung. Einige der Karten sind sogar so schmutzig, dass man die Zahl und die Farbe kaum erkennen kann. So sehr Dad uns ermuntert hat, von irgendwelchen Dingen Sammlungen anzulegen, er selbst hat es nie richtig geschafft. Eine Zeit lang hat er Baseballkarten gesammelt, aber nur von Spielern, die nicht länger als ein Jahr spielten. Dann hatte er’s mit ausländischen Briefmarken aus Ländern, die nicht mehr existierten. Eine Marke wurde für ihn zu einem wahren Heiligtum, und er suchte danach, egal wo er hinkam. Sie war 1851 auf Hawaii gedruckt worden, mehr als hundert Jahre, bevor Hawaii ein US-Bundesstaat wurde. Die Marke wurde in den Werten zwei Cent, fünf Cent und dreizehn Cent aufgelegt. Dad zeichnete Bilder davon, damit Mom und ich sie erkennen würden, wenn wir in unserer Stadt unterwegs waren. Ich halte immer noch Ausschau nach dieser Marke, aber allmählich beginne ich zu glauben, dass er sie sich nur ausgedacht hat. Bevor er starb, hatte er sich auf Werbegeschenke von Schnellrestaurants verlegt, was damals toll für mich war, weil er ein Kind brauchte, um den Kram geschenkt zu kriegen. Jetzt kann ich in kein Schnellrestaurant mehr gehen, ohne traurig zu werden.
    Lizzy kommt mit einem zusammengerollten Bogen Bastelpapier
unter dem Arm zurück. Zilla läuft hinter ihr her und knurrt mich an. Ihrem Hang zur Dramatik folgend, entrollt Lizzy den Bogen mit einem Ruck aus dem Handgelenk und breitet ihn genau über den Spielkarten vor uns aus. Als Erstes springen mir zwei Bleistiftzeichnungen der Kassette ins Auge. Lizzy hat nicht alle Schlüssellöcher an die richtige Stelle gesetzt, aber ansonsten ist ihre Abbildung ziemlich gut.
    »Entschuldige den groben Entwurf«, sagt sie bescheiden. »Wie du siehst, habe ich unsere Möglichkeiten durchnummeriert. Die Liste reicht von der einfachsten bis zur schwierigsten. Plan A …«
    »Den kannst du streichen«, informiere ich sie, noch bevor sie weiterreden kann. »Habe ich schon versucht.«
    »Du hast die Kassette in den Gefrierschrank gestellt?«, fragt sie erstaunt.
    Ich nicke. »Und in die Mikrowelle.«
    Sie wirft mir einen langen Blick zu und streicht dann Plan A und B.
    »Wenn du schon dabei bist, kannst du auch gleich Plan C streichen. Ich habe schon versucht, ein Messer unter den Deckel zu schieben, aber er lässt sich nicht anheben.«
    Mit einem lauten Seufzer macht sie einen Strich durch die nächste Zeile.
    »Kann ich weitermachen?«, fragt sie.
    »Klar.«
    »Plan D: Wir bringen die Kassette zu Schlüssel-Larry von Larry’s Locks and Clocks und schauen, ob er was tun kann.«
    Ich nicke zustimmend. »Das ist eine gute Idee.«
    »Und wenn das nicht funktioniert«, fährt sie fort, »fahren wir, Plan E, heute Nachmittag mit der U-Bahn zum Flohmarkt
in der 26th Street. Da könnten wir Glück haben. Ein paar von den Verkäufern bieten garantiert auch alte Schlüssel an.«
    Bei diesen Worten zucke ich leicht zusammen. »Ich habe da noch nie Schlüssel gesehen.«
    »Weil du nie einen Grund hattest, danach zu suchen.«
    »Vielleicht. Aber trotzdem … das ist genau auf der anderen Seite der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher