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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad
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Für sich allein.
    Ohne Aussicht auf jemanden, der ihn trösten kam. Andererseits gab es nur einen, von dem er getröstet werden wollte. Den einen, den er zwischendurch hasste, verfluchte, liebte, vermisste und dann wieder hasste. Nacheinander und manchmal auch gleichzeitig.
    Montagabend hatte es an der Tür geklopft. Sein Vater hatte vom Lehrer erfahren, dass er nicht erschienen war. Ohne Abmeldung. Ohne Erklärung.
    Das – DAS! - rief seine Eltern auf den Plan. Nein, seinen Vater.
    Seine Mutter? Keine Ahnung. Er hatte sie ab und an streiten hören. Alles beim Alten. Er schloss sich in seinem Zimmer ein und schlich zwischendurch ins Bad, um zu pinkeln und aus dem Wasserhahn zu trinken.
    Hinterher – wenn er sich sicher war, dass niemand daheim war - holte er Bier aus dem Kühlschrank. Döste im Morgengrauen mit der Flasche in der Hand ein und besudelte sein Bett und sich selbst. Keiner merkte etwas.
    Gut, wäre Ivana nicht krank, sie hätte etwas gemerkt. Die Haushälterin. Wie erbaulich.
    Es war früher Morgen.
    Der vierte Tag nach dem Untergang seiner Welt. Unten konnte Andreas seine Eltern rumoren hören. Vermutlich stritten sie sich wieder über die Frage, ob und wie lange seine Mutter arbeiten sollte.
    Es interessierte ihn nicht. Ihn interessierte gar nichts mehr. In seinem Inneren gab es einen Ball aus Dunkelheit, der jede Empfindung aufsaugte und zu Schmerz verarbeitete.
    Der, dessen Name er nicht einmal in Gedanken aussprechen wollte, es aber natürlich doch tat, geisterte durch seinen Verstand.
    Während des ersten Tages war Andreas verzweifelt gewesen. Am zweiten Tag hatte er kämpfen wollen. Um ihre Freundschaft, um ihre Liebe, die heiß in ihm brannte und sich weigerte zu erlöschen. Am dritten Tag kam der Hass und begrub alles andere unter sich. Bis in der Nacht darauf die Scham einsetzte.
    Das Gefühl, nichts Besseres verdient zu haben.
    Und jetzt war er hier und hatte eine Entscheidung gefällt. Sie war bitter und sie trieb ihm die Tränen in die Augen, aber er sah keine andere Möglichkeit mehr. Keinen Ausweg. Keine Hoffnung.
    Er hatte alle Vorbereitungen getroffen. Es waren nicht viele gewesen. Er hatte seine Email-Adresse abgemeldet und seinen Rechner formatiert. Er hatte sein Leben gelöscht.
    Zeit für den Abschied.
    Wie von unsichtbaren Fäden gezogen stand Andreas auf.
    Es waren die abgehackten, ziellosen Bewegungen einer Marionette, deren Arme und Beine vom Puppenspieler kontrolliert wurden. Ebenso taub wie das Holz fühlte seine Haut sich an. Körperliche Empfindungen drangen nur vage zu ihm durch.
    Zu überwältigend war die Finsternis in seiner Seele. Die Einsamkeit. Der Gedanke, dass es aufhören musste. Heute.
    Ungeachtet der Gefahr, dass seine Eltern ihn sehen oder hören konnten, schloss Andreas seine Zimmertür auf. In einem Anfall von Sentimentalität streichelte er zärtlich das Türblatt und die geschwungene Klinke.
    In der Vergangenheit waren diese Tür und die sicheren Wände dahinter seine besten Freunde gewesen. Seine Familie. In ihre Umarmung hatte er sich gedrückt, wenn er glaubte, den Verstand zu verlieren. Sie hatten die wenigen Höhepunkte und die vielen Tiefpunkte seines armseligen Daseins miterlebt und geduldig über ihn gewacht.
    Die Lackierung war glatt und kühl. Tröstlich. Freund. Lieber Freund.
    Schemen bevölkerten die Stufen, als Andreas schlurfend auf die Treppe zuging. Schemen, die flüsterten: „Weißt du noch? Kannst du dich erinnern? Wir waren dein Weg ins Asyl. Wir waren es, die dir verraten haben, wenn sich jemand näherte. Unser Knarren und Stöhnen war Teil deines Schutzbunkers.“
    Fast wäre ihm ein irres Lachen entfahren. Seine Hand war zu groß, seine Finger zu lang, als er sie auf das Treppengeländer legte.
    Es war nicht lange her, da war er zu klein gewesen, um nach dem Geländer zu greifen und hatte sich stattdessen an den Holzstreben darunter festhalten müssen. Nicht lange her. Höchstens zwölf oder fünfzehn Jahre.
    Seine Gitterstäbe, waren sie nicht wunderschön?
    Margarete und Richard von Winterfeld standen an der Garderobe und gifteten sich an. Sie zynisch und schlicht brutal, er überreizt und gnadenlos in seinem Bemühen, seiner Frau Verstand einzubläuen.
    Sie ignorierten Andreas, bis er auf halber Treppe angekommen war. Auch dann blieb es bei einem flüchtigen Blick, während sie mit Jacken, Schal und mit Fuchsfell besetzten Handschuhen kämpften.
    Andreas war es, als sähe er seine Eltern zum ersten Mal.
    Ihre gestressten
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