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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Autoren: Thomas Breuer
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Leander
getrunken hatten, eröffnete der alte Petersen unter Beifallklatschen das Buffet
und zog sich dann dezent zurück.
    »Mein lieber Scholli«, stöhnte Lena und steuerte mit Leander
zusammen auf das Angebot an warmen und kalten Speisen zu. »Wenn das nicht eine
super Show war, dann ist mir meine Spürnase abhanden gekommen und ich quittiere
meinen Dienst. Zuerst haben sie versucht, dich zu kaufen, dann wollten sie dich
vertreiben, und jetzt seifen sie dich ein.«
    Leander sagte nichts dazu, aber insgeheim hatte er dasselbe
Gefühl wie Lena. Ein Mann von etwa sechzig Jahren kam mit beladenem Teller vom
Buffet her auf sie zu, stoppte direkt vor ihnen und beugte sich leicht vor, als
wolle er ihnen ein Geheimnis anvertrauen.
    »Packt euch die Teller ordentlich voll, schnappt euch eine
Flasche Schampus und kommt in den Wintergarten. Ich warte da auf euch.«
    Mit einem verschwörerischen Augenzwinkern setzte er seinen Weg
durch das Wohnzimmer fort.
    »Kennst du den?«, fragte Lena erstaunt.
    »Nicht, dass ich wüsste, aber nach der Nummer von eben kann das
keine Verwechslung sein. Uns kennt hier jetzt jeder.«
    Sie bedienten sich am Buffet und suchten dann mit ihren Tellern
und Besteck in der Hand den Weg zum Wintergarten. Als sie durch die Glastür
traten, erhob sich der Mann, der sie herbestellt hatte, aus einem schwarzen
Kunstgeflecht-Sessel.
    »Henning«, sagte er, »und Lena, wenn ich recht informiert bin?
Kommt rein, setzt euch!«
    Er machte ein paar Schritte an ihnen vorbei, legte einem
Ehepaar mittleren Alters, das mit Tellern und Besteck in den Händen hinter
Leander und Lena hergekommen war, die Hände auf die Schultern, drehte sie um
und schob sie mit den Worten »Entschuldigung, die Herrschaften – geschlossene
Gesellschaft!« zurück durch die Tür ins Wohnzimmer.
    Die beiden schauten fassungslos zu, wie er die Tür hinter ihnen
ins Schloss drückte, sahen sich dann kopfschüttelnd an und drehten ab, um sich
woanders einen Platz zum Essen zu suchen.
    »Sagen Sie«, begann Leander, »müsste ich Sie kennen?«
    »Na, du machst mir Spaß! Früher hast du Onkel Erik zu mir
gesagt. Allerdings warst du erst so groß, als ich dich zuletzt gesehen habe.«
    Er zeigte mit der Hand etwa einen halben Meter über den Boden.
    »Du erinnerst dich nicht, oder?«
    Leander schüttelte den Kopf und stand noch ratlos da, als Lena
längst auf einem Sofa Platz genommen hatte.
    »Erik Petersen. Ich war der beste Freund deines Vaters. Der
Staatsschauspieler von vorhin, das ist mein alter Herr. Hauke Petersen ist mein
Bruder, und ich bin das schwarze Schaf der Familie. Ihr verdankt die
zweifelhafte Ehre, heute Abend hier sein zu dürfen, übrigens mir.«
    Er drückte Leander auf die Schulter, so dass der neben Lena auf
dem Sofa landete, und nahm selbst wieder in seinem Sessel ihnen gegenüber
Platz.
    »Als bester Freund meines Vaters müssten Sie mir irgendwann
begegnet sein«, widersprach Leander.
    »Du«, verbesserte Erik Petersen, um dann nahtlos fortzufahren:
»Das bin ich auch, du weißt es nur nicht mehr, weil es so lange her ist und du
noch ein Hosenscheißer warst. Bjarne und ich sind damals zusammen von hier
abgehauen. Wir hatten die Spießer satt, die ganze Verlogenheit des
Establishments. Ja, da lachst du, Lena, aber so haben wir damals gedacht und
gefühlt. Das waren aus heutiger Sicht wirre Jahre, aber für uns damals war
alles absolut klar: Hier waren unsere Väter, die dem Hitlerregime nie wirklich
Widerstand geleistet hatten, was sie aus unserer Sicht moralisch mitschuldig
machte. Und da waren wir, die Generation der Töchter und Söhne, die auf ihre
Fragen keine ehrlichen Antworten bekamen und schon gar kein Schuldbekenntnis.
Und die Schweiger hatten die Adenauer-Ära nicht nur schadlos überstanden, sie
sind aus der ›Zeit der großen Lügen‹, wie Günter Grass sie mal genannt hat, sogar
gestärkt hervorgegangen. Das Wirtschaftswunder hat ihnen auch noch recht
gegeben. Da waren in diesem Land fast sechs Millionen Menschen ermordet worden,
und keiner wollte es gewesen sein. Und unsere Fragen wurden als
Nestbeschmutzung verurteilt, als Verbrechen an den Leistungen unserer Väter,
die schließlich unser Land aus Ruinen wieder aufgebaut hatten. Wer für die
Ruinen verantwortlich gewesen war, durfte nicht gefragt werden. So jedenfalls
haben wir das damals empfunden. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass wir eine
Stinkwut hatten.«
    »Und deshalb habt ihr die Insel verlassen«, stellte Lena fest.
»War es da,
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