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Lasst eure Kinder in Ruhe

Lasst eure Kinder in Ruhe

Titel: Lasst eure Kinder in Ruhe
Autoren: Wolfgang Bergmann
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dass nur unsere von Vernunft geordnete Welt eine reale ist?
    Und die fantastische Welt der Kinder: Ist sie nicht mindestens so real wie ihre Träume und unsere Wünsche, unsere unbewussten Ängste, unser unbewusster Zorn und unsere unbewusste Liebe?
    Natürlich ist sie das. In dieser vom Kind geformten Welt, mag sie noch so unfertig erscheinen, spiegelt sich dies alles. Unsere seelische Realität, die Wirklichkeit unserer Träume, die Wirklichkeit unserer Hoffnungen.

    Und Hoffnungen sind doch auch ganz real, das weiß jeder. Hoffnung weist über das Vorhandene, das Gegebene hinaus. Hoffnung ist ein Blick auf etwas, das noch nicht da ist, aber seelisch schon ganz nah und vertraut. Hoffnung ist mehr Sein, als man in diesem Augenblick sein darf, ist Aufbrechen der Beengung, Auflösen des normativ Eingezwängten – das alles ist Hoffnung. Sogar für uns Erwachsene – und für die Kinder erst recht.
    Hoffnungsfrohes Gestalten, voller Zeichen und Verweise auf die kindliche Seele und auf unsere, auf die kindliche Welt und auf unsere: Wir müssen sie nur entziffern, diese Welt, dann erscheint sie uns plötzlich seltsam vertraut.
    Ach, wie viel von uns selber in dieser kindlichen Fantasie ist! Fantasie ist ja nichts Losgerissenes, das kindlichspielende Fantasiegebilde ist Spiegel des Kinderlebens und Ausdruck seiner Erfahrungen, beides gleichzeitig. Das ist seine Einzigartigkeit, seine Komplexität.
    In unseren Kindergärten und anderen pädagogischen Einrichtungen versuchen wir soeben, den Kindern diese Freiheit auszutreiben. Damit stirbt das Hoffen auch, das unfertig Gestaltete, das noch Wirklichkeit werden will und unter den Kinderhänden in kleinen gebastelten Symbolen schon geworden ist.
    Die Pädagogen begreifen das aber nicht, die Politiker auch nicht. Und die Funktionäre unserer Kirchen auch nicht. Das ist ihre Verfehlung. Ich werfe sie ihnen vor. Und wenn wir schon davon reden, dann sollten wir auch von Jesus sprechen, diesem begnadeten Pädagogen.

    Als Jesus sich auf seinen Pilgerweg machte, fort aus der Heimat, da war er, unterwegs auf staubigen, manchmal von Römern kontrollierten, oft feindlichen Straßen, getragen von Zukunft, von Erwartung, von Hoffnung auf die Erfüllung, die er schon vollendet in sich selber spürte. Aber real war sie nicht, bei Weitem nicht so real wie eine Kinderspielwelt.
    Realität wurde sie erst dadurch, dass seine innere Wahrheit zu einer äußeren wurde, durch seine Worte, seine Predigten, wohl auch seine Gestalt, seine Körperlichkeit, seine Gegenwart . Die Wunder, nebenbei bemerkt, spielen dabei eine untergeordnete Rolle, so erstaunlich sie uns heute anrühren mögen. Wunder gehörten sozusagen zum Handwerk eines Propheten, das unterschied Jesus nicht von anderen.
    Was ihn unterschied, das war die Realität der Hoffnung. Sie würde dann noch die gesamte abendländische Welt und mehr darüber hinaus verändern – von Grund auf. Das alles war ihm schon gewiss, so wie einem Kind seine Zukunft gewiss ist. Seine Freude auf sie ebenso. Wie ein Kind ganz genau weiß, dass es die Welt bereichern wird, wie es jetzt schon mit jeder Geste spürbar macht, dass die Welt erzittern wird vom Glanz seines Daseins.
    In jedem Kind erkennen wir, wenn wir die Augen aufmachen, diese Zuversicht, diesen Glanz. Auch und besonders auf diese Weise sind Kinder eine Fortsetzung jenes Weges, den Jesus in Galiläa so schwerlich begann. So müssen wir sie anschauen, mindestens doch in den kirchlichen Kindergärten und Bildungseinrichtungen,
wo die Bürokratie heute dieselben geistigen Verwüstungen angerichtet hat wie in allen staatlichen auch. Geradezu gottverlassen ist das! Dann würden wir sie sogar »erziehen«. Erziehen ohne »ziehen«, ohne zu zerren, sondern lenkend, leitend, behütend auf ihr Eigenstes hin, ihre fantastische Hoffnung, die Plastizität ihrer Zukunft.
    Er trug eine innere Wahrheit, dieser Jesus, als er sich aus dem Zimmermannladen seines Vaters löste, als er seine Mutter zurückwies. Die Wahrheit war in ihm begründet, sie lässt sich nicht weiter zurückführen, sie lässt sich auch nicht erforschen oder vernünftig legitimieren. Sie war »da«. Und das störte die Welt.
    »Nein, unser Kind wird die Welt nicht auf dieselbe Weise erschüttern«, sagen Sie vielleicht. Aber so gewaltig ist der Unterschied des Aufbruchs unseres Heilands damals in Galiläa und der Aufbruch eines Kindes, wenn es seine Welt gestaltend umformt, wieder und wieder, nun auch nicht. Wenn es mit Hoffnung und der
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