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Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)

Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)

Titel: Lasst die Spiele beginnen: Roman (German Edition)
Autoren: Niccolò Ammaniti
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Spazierengehen auf dem Staudamm in Ridracoli hörte, in der Emilia-Romagna, wo sie im Sommer zusammen mit den Kindern immer Ferien machten. Ein unverwechselbares Geräusch, ähnlich wie das einer Flugzeugturbine.
    Mit dem Haufen von Max in der Hand und den Zeitungen unter dem Arm, kniff der alte Journalist die Augen hinter der Brille zusammen und sah sich forschend um. Die Via Salaria war leer, und alles schien normal.
    Auch Eugenio schaute sich ratlos um und runzelte die Stirn. Max hingegen war völlig aus dem Häuschen, zerrte an der Leine und jaulte, als hätte er eine Katze gesehen.
    »Brav, sei brav … Verdammter …«
    Zum zweiten Mal ließ ihn ein Geräusch verstummen. Diesmal klang es eher wie ein schriller Pfiff.
    Eugenio sah nach oben. Auch Piero Ristori richtete den Blick nach oben und sah am wolkenlosen Himmel über der Straße eine schwarze Scheibe in die Höhe schießen, höher als die Häuser. Ihm blieb gerade noch Zeit zu erkennen, dass es sich um einen Kanaldeckel handelte, da donnerte die Kupferscheibe, senkrecht wie eine Flüssigkeit, auf das Dach eines Passat Variant. Die Scheiben explodierten, die Räder knickten ein, und die Alarmanlage begann zu heulen.
    Aus dem Augenwinkel sah der alte Journalist, wie sich auf dem Bürgersteig gegenüber eine weiße Schaumfontäne in die Höhe schraubte wie eine Kobra. Der Wasserstrahl spritzte höher als der Zaun der Villa Ada.
    Dann meinte er zu sehen, wie aus dem Kanal etwas Schwarzes herausgeschleudert wurde.
    »Was zum Teufel …«, sagte Eugenio.
    Etwa zehn Meter über ihren Köpfen strampelte ein menschliches Wesen in der Luft. Dann stürzte es, wie einer, der vom Felsen in die Fluten springt, ab und schlug auf der Straße auf.
    Ungläubig kniff Piero Ristori die Augen zu. Als er sie eine Sekunde später wieder öffnete, sah er einen Mann über die Mittellinie der Via Salaria laufen. Seine Beine zitterten, aber wie durch ein Wunder war er unverletzt.
    Während das Wasser den Straßenbelag überschwemmte, ging der Journalist zwei Schritte auf ihn zu.
    Es war ein dünner Greis in einer schwarzen Trainingshose, die in Fetzen an ihm herunterhing. Die triefenden Haare und der lange weiße Bart waren angeklatscht. Er stand da wie angewurzelt, als wären seine Füße am Asphalt festgewachsen.
    Der Journalist ging noch ein paar Schritte näher, zwischen den parkenden Autos hindurch.
    Nein, das ist doch nicht möglich …
    Obwohl inzwischen ein halbes Jahrhundert vergangen war, trotz der Arteriosklerose, die seine Blutgefäße verstopfte, trotz des langen Bartes, der das Gesicht des Mannes verdeckte, erinnerten sich die Temporallappen von Piero Ristori sofort, als er diese Augen, so kalt wie die sibirische Steppe, und die große Nase sah.
    Er wurde in der Zeit zurückversetzt, in den Sommer 1960. Rom. Olympische Spiele.
    Das war Sergej Pelevin, der große Stabhochspringer, der damals die Goldmedaille gewonnen hatte. Nach den Spielen war er zusammen mit einer Gruppe sowjetischer Athleten verschwunden, und keiner hatte je erfahren, was aus ihnen geworden war. Bei der Siegerehrung hatte Piero Ristori ihn damals für den Corriere della Sera interviewt.
    Aber was machte er fünfzig Jahre später plötzlich mitten auf der Via Salaria?
    Mit zitternden Händen und den Hund hinter sich herziehend, ging der Journalist auf den Sportler zu, der immer noch bewegungslos wie eine Statue mitten auf der Straße stand.
    »Sergej … Sergej …«, stammelte Ristori. »Was ist aus dir geworden? Wo bist du gewesen? Warum bist du abgehauen?«
    Der Sportler wandte sich um und schien den Journalisten zuerst gar nicht zu sehen.
    Dann blinzelte er mit den feuchten Augen, so als mache die aufgehende Sonne ihm zu schaffen. Er entblößte seine zahnlosen Kiefer und sagte: »CвободY … я вьιбpaл.« [Ich habe die Freiheit gewählt.]
    Aber er konnte den Satz nicht beenden, weil ihn ein Smart Fortwo, der mit hundertzwanzig Sachen von der Olimpica kam, über den Haufen fuhr.

73 Saverio Moneta hatte es geschafft, Larita keinen Augenblick loszulassen und ihre Hand festzuhalten, während sie von der Strömung mitgerissen und herumgewirbelt wurden, durch die schwarzen Gänge der unterirdischen Nekropole gespült wurden. Sie hatten literweise Wasser geschluckt und eine Ewigkeit nicht geatmet, waren dann aber, wie wussten sie selbst nicht, in einer Luftblase unter einer Gangwölbung wieder aufgetaucht.
    Saverio klebte mit der Nase an der Decke, japste mit offenem Mund nach Luft
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