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Landlust für Anfänger: Erlebnisse einer Ausgewilderten in der Toskana

Landlust für Anfänger: Erlebnisse einer Ausgewilderten in der Toskana

Titel: Landlust für Anfänger: Erlebnisse einer Ausgewilderten in der Toskana
Autoren: Elna Uterrmöhle
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nach etwa jedem zehnten Baum, inklusive des Schneidens auf Scheitlänge, geschärft werden. Und wenn man in den Waldboden sägt, ist sie gleich reif für Marcello. Niemand kann das so gut wie er. Und nicht nur schärfen, Marcello ist Experte für alles, was an Garten- und Waldgeräten kaputtgehen kann.
    Ab 17 Uhr, wenn es dunkel wird, ist seine Werkstatt von Kunden belagert und wir müssen warten.
     
    Wir stehen mitten in einem Durcheinander von Sägen, Motorsensen und Rasenmähern. Geräte, die schon länger auf ihre Reparatur warten, sind von dicken Spinnennetzen eingesponnen. Dazwischen hüpfen einige Hühner herum, die gackernd zwei Tauben vertreiben, da sie deren Platz auf irgendeinem rostigen Teil beanspruchen.
    Marcello selbst ist kaum ansprechbar. Während er „dauertelefoniert“, das Handy zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, fummelt er mit den Händen an irgendeiner Säge herum, schärft eine Kette oder entrostet die Schneiden eines Rasenmähers. Seine Telefonate mit verzweifelten Kunden unterbricht er nur, um Schäferhund und Katze, die ohrenbetäubend miteinander streiten, hinauszujagen. Nur, damit diese sich fünf Sekunden später in ungewöhnlicher Eintracht wieder hereinschleichen, um sich vor Publikum erneut anzubellen bzw. anzufauchen.
    Das Warten führt zu neuen Bekanntschaften. Schließlich sind wir Holzfäller eine eingeschworene Gemeinschaft. Dachten wir. Zuerst ging auch alles gut. Fachkundig debattieren wir mit den saisonalen Kollegen aus Mazedonien, sie sprechen super gut italienisch, über Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Motorsägen und stöhnten gemeinsam über den Nieselregen draußen. Dann aber kam die fatalste (wie ich jetzt weiß) aller Fragen: Wie viele Ster habt Ihr heute gemacht?
    Wir überlegen kurz, verständigen uns per Blick, dass ein wenig Schummeln erlaubt ist, und ich sage mit fester Stimme: Drei Ster. Das sind also drei Kubikmeter, als Hinweis für alle, die nicht im Holzgewerbe tätig sind und deshalb womöglich die Maßeinheit Ster nicht kennen. Also, drei Ster.
    Mazedonisches Schweigen.
    Bis einer anerkennend pfeift. „In der Stunde?“
    „Nein! Natürlich am Tag!“
    „Am Taaaaag?“
    „Ja. Und jetzt sind wir ganz schön kaputt.“
    „Wir machen am Tag locker zwölf Ster pro Mann.“
    Ende des Gesprächs.
    Ab sofort sprachen sie nur noch in ihrer Sprache (welcher eigentlich?) miteinander. Wir gehörten nicht mehr zum Club. Das tat weh.     
     
    Um bei der Wahrheit zu bleiben, wir schaffen höchstens zwei Ster am Tag. Vielleicht auch nur einen. Wie viel es auch sein mag, wir sind abends kreuzkaputt. Es ist unglaublich wie hoch plötzlich die Stufen ins Obergeschoss sind, wie schwer es ist, Füße auch nur einen Zentimeter über den Boden zu heben oder gar eine volle Schüssel, zum Beispiel mit Kartoffeln, zu tragen.
    Aber diesen muskelbepackten Ignoranten wollte ich das nicht erzählen. Sie haben einfach null Verständnis für unsere Leistung. Hätte ich diesen Supermen erzählt, dass unsere Finger bis zur Auswilderung als maximale Leistung eine Tastatur bedienten und unsere Beine nur kurze Wege kannten, wären wir noch tiefer in deren Anerkennung gesunken. Nee stimmt nicht. Das war ja gar nicht mehr möglich.
     
    Gar keines Blickes hätten sie uns gewürdigt, wenn sie wüssten, dass bei uns mancher Baum leider falsch fällt. Statt ordentlich in die von uns ausgedachte Richtung zu stürzen, bleibt der eine oder andere quasi senkrecht stehen und stützt sich auf die Kronen seiner Nachbarn. Sehr unfreundlich.
    Und ein klarer Fall für Asterix alias Stefano. Zwei regelwidrig gesägte Keile, ein dickes Seil, Freund Obelix und ein befreundeter Schwarzenegger - nur jünger - und der Baum fällt genau dahin, wo er hin sollte.
    Geht‘s noch bitterer? Ja. Stefano traut uns gar nichts mehr zu und erklärt, er würde wohl besser gleich die beiden Nachbarbäume fällen, dann müsse er nicht morgen wiederkommen.
    Ich gehe beleidigt zum Haus zurück und sehe von dort aus, wie es eine Baumkrone vom Himmel regnet. Während ich mich frage, wie gefährlich solche Erscheinungen sind, entdecke in Stefano. Auf dem Nachbarbaum, mit der Motorsäge, in zehn Metern Höhe. Der Typ ist wahnsinnig.
    Wieder auf der Erde fällt er den in schwindelnder Höhe entasteten Stamm, der natürlich perfekt landet.
    Aber wie ist er da rauf gekommen? Die ersten fünf Meter gab es nicht einen Ast. „Ich klettere wie Affe“, sagt er lachend. Mit seinen muskelbepackten Armen führt der
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