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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht
Autoren: Stefan Holtkoetter
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später an. Machen Sie weiter, Herr Hambrock. Die Angeklagten konnten also zweifelsfrei als Täter identifiziert werden?«
    »Ja, Sascha Bördemann und Dennis Gröver waren daraufhin geständig. Lennard Müller hat die Aussage zunächst verweigert. Nach dem Gespräch mit seinem Anwalt hat er sich aber ebenfalls entschlossen, die Tat zuzugeben. Es gibt keinen Hinweis auf eine vordeliktische Beziehung. Täter und Opfer stammten zwar allesamt aus Gertenbeck, aber das Opfer war acht Jahre älter als die drei Täter. Marius Baar hat sein Abitur gemacht, als die drei Angeklagten gerade aufs Gymnasium gekommen waren. Er studierte seit einigen Jahren in Münster, und so gab es auch im Bekanntenkreis keine Berührungspunkte. Die erste bewusste Begegnung zwischen Marius Baar und den Angeklagten fand offenbar in der Tatnacht auf dem Bahnsteig statt.«
    »Können Sie etwas zu den Motiven der Tat sagen?«, fragte Richterin Schniederjohann.
    »Es scheint zu einem spontanen Gewaltausbruch gekommen zu sein. Die Täter waren leicht alkoholisiert. Sascha Bördemann gab an, wegen der bevorstehenden Abiturprüfungen frustriert gewesen zu sein. Sie standen unter extremem Druck, auch durch das Elternhaus. Der Streit auf dem Bahnsteig war offenbar ein willkommener Anlass, um Dampf abzulassen.«
    »Dampf ablassen? Ist damit für Sie ein solch ungewöhnlicher Gewaltausbruch erklärbar?«
    Hambrock sah zu den drei Angeklagten, die immer noch krampfhaft vor sich hin starrten.
    »Ich weiß nicht, ob das diese Tat erklärt«, sagte er. »Aber eine andere Erklärung hat sich bei den Ermittlungen nicht ergeben. Es gibt keine weitergehenden Motive.«
    Die Richterin sah zur Anklagebank hinüber und pickte sich den Erstbesten der drei heraus.
    »Herr Bördemann«, donnerte ihre Stimme durch den Saal. »Was war der Grund für die Gewalttat?«
    Der Junge verkrampfte sich. Er schien zu begreifen, dass Aussitzen nicht mehr möglich war. Panik trat in sein Gesicht.
    »Sagen Sie mir, weshalb Sie Marius Baar geschlagen haben«, beharrte die Richterin. »Und dann, als er bereits wehrlos am Boden war, immer weiter auf ihn eingetreten haben.«
    »Ich…« Sascha Bördemann schluckte schwer. »Ich weiß nicht. Wir wollten ihn nicht töten. Wir waren nur sauer auf ihn. Wir hatten doch nie vor, ihn umzubringen.«
    »Sie haben ihm ins Gesicht getreten, als er am Boden lag«, insistierte sie. »Immer wieder und mit voller Kraft. Ist doch klar, dass man so was nur schwer überleben kann.«
    »Ich… wir wollten nicht…« Er fing an zu schluchzen.
    Das Gesicht der Richterin verfinsterte sich weiter. So leicht wollte sie es den Angeklagten nicht machen.
    »Herr Gröver«, schoss sie hinterher. »Dann sagen Sie es mir. Was war der Grund?«
    Dennis Gröver sah verschreckt auf. Seine großen Augen wirkten unschuldig wie die eines Kindes.
    »Ich weiß auch nicht, was in uns gefahren ist. Wir wollten ihn nicht töten, bestimmt nicht.«
    »Das ist alles, was Ihnen dazu einfällt?«, fragte die Richterin. »Sie wollten ihn also nicht töten?«
    »Wir wollten uns nur prügeln. Und dann… dann lag er am Boden, und wir konnten einfach nicht mehr aufhören.«
    »Sie konnten also nicht mehr aufhören, ja?« Die Richterin beugte sich vor. Ihre durchdringende Stimme war selbst im letzten Winkel des Saals deutlich zu hören, als sie fragte: »Weshalb konnten Sie nicht mehr aufhören?«
    In den Zuschauerreihen war es jetzt totenstill.
    Nur das Schluchzen von Sascha Bördemann war zu hören. Die anderen beiden schwiegen beharrlich und starrten schuldbewusst auf den Tisch. Saschas Schultern bebten, der ganze Körper begann zu zittern. Und dann konnte er sich mit einem Mal nicht mehr halten und heulte lautstark drauflos.
    In den Zuschauerreihen wurde getuschelt. Die Verteidiger beantragten eine Unterbrechung. Richterin Schniederjohann missfiel das sichtlich. Aber der Anfall des Jungen war nicht gespielt, und sie gab dem Ansinnen mürrisch statt.
    »Herr Hambrock, sind Sie damit einverstanden, die Befragung kurz zu unterbrechen und nach einer Pause von – sagen wir – fünfzehn Minuten dem Gericht nochmals zur Verfügung zu stehen?«
    »Natürlich«, sagte er.
    Hambrock war einer der Ersten, die den Saal verließen. Kühle und frische Luft schlug ihm entgegen.
    Hinter ihm strömten die Zuschauer plaudernd heraus. Mit der Stille im Lichthof war es schlagartig vorbei. Auf einer Bank entdeckte Hambrock die Gestalt in dem hellen Trenchcoat, die während der Befragung den Saal verlassen
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