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Land der Sehnsucht (German Edition)

Land der Sehnsucht (German Edition)

Titel: Land der Sehnsucht (German Edition)
Autoren: Tamera Alexander
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mit Monsieur Marchand darüber gesprochen hat, dass er dir den Hof machen will.“
    Véronique sah im Geiste Dr. Claude vor sich, den Leibarzt der Familie Marchand. „Daran, dass er würdig ist, besteht kein Zweifel. Seine gesellschaftliche Stellung ist weit höher als meine. Aber …“ Sie verzog das Gesicht. „Er ist so alt und er riecht immer aus dem Mund.“
    Christophe lachte. „Fünfzig ist nicht mehr ganz jung, ja, aber das heißt noch lange nicht, dass er kurz vor dem Sterben wäre, ma Chérie.“ Er schüttelte den Kopf. „Du bist immer so ehrlich, Véronique. Eine bewundernswerte Eigenschaft, aber sie wird dich in große Schwierigkeiten bringen, wenn sie nicht mit viel Vernunft eingesetzt wird.“
    Ihre Kinnlade fiel nach unten. „Ich habe viel Vernunft, und obwohl du mich immer davor gewarnt hast, zu ehrlich zu sein, sagte meine liebe Maman, eine ehrliche Antwort sei so wie ein Kuss auf die Lippen.“
    Er lächelte. „Wenn es eine Antwort ist, die man gerne hört, stimmt das zweifellos.“ Er hob eine Hand, als sie zu einer Antwort ansetzte. „Aber lass mich dir eines sagen: Wenn deine liebe Maman etwas geglaubt haben sollte, das meinem Glauben widerspricht, widerrufe ich meinen Glauben auf der Stelle und nehme bedingungslos ihre Meinung an.“ Sein Blick wanderte zum Grab ihrer Mutter. „Denn sie war eine Heilige unter den Frauen.“
    Er trat an Véronique vorbei und kniete nieder. Er legte eine Hand neben die weiße Rose auf den Grabstein und beugte den Kopf.
    Véronique beobachtete ihn, da sie wusste, wie tief seine Zuneigung zu ihrer Mutter gewesen war. Sie kniete neben ihm nieder und fuhr ebenfalls mit der Hand über den kühlen, glatten Stein. Ihre Mutter war langsam gestorben. Einerseits zu langsam, andererseits zu schnell.
    Arianne Elisabeth Girard hatte viel gelitten, und es hatte viele Nächte gegeben, in denen sie in einem unruhigen, von Schmerzmitteln begleiteten Schlaf Gott gebeten hatte, sie zu sich zu nehmen und sie von ihren Schmerzen zu erlösen. Eine Weile hatte Véronique Gott angefleht, ihrer Mutter diesen Wunsch nicht zu erfüllen. Wie egoistisch diese Bitte doch gewesen war!
    Jedoch nicht egoistischer als das, worum ihre Maman sie in ihrer letzten Stunde gebeten hatte.
    Es war unfair gewesen und der Preis dafür war viel zu hoch. Unter normalen Umständen wäre das ihrer Mutter bewusst gewesen, aber das Fieber und die Medikamente hatten ihr Denken getrübt. Véronique hatte gehört, dass man sich vom Tod der eigenen Mutter nie erholen würde, und wenn sie an die letzten Wochen zurückdachte, fürchtete sie, dass das wahr war.
    Sie sah das Gesicht ihrer Mutter vor Augen und versuchte, in einem Sonett, das sich vor langer Zeit in ihr Gedächtnis eingegraben hatte, Trost zu finden. Ihre Mutter hatte dieses Sonett geliebt, das vor über zweihundert Jahren zu Papier gebracht worden war und dessen Worte Véronique erst jetzt, nach dem läuternden Feuer in ihrem eigenen Leben, begriff.
    Da sie die Worte auf ihrer Zunge fühlen wollte, wie der Autor selbst sie gefühlt hätte, wählte sie die Sprache des in England geborenen Dichters an Stelle ihrer Muttersprache Französisch. „Tod, sei nicht stolz, hast keinen Grund dazu. Bist gar nicht mächtig stark, wie mancher spricht.“
    Christophe sprach genauso fließend Englisch wie sie. Aber er blieb stumm und hielt den Kopf gesenkt.
    Sie runzelte vor Konzentration die Stirn. Ihre Stimme war nur ein ersticktes Flüstern: „Du tust uns nichts; auch mich tötest du nicht.
Die du besiegt wähnst, warten nur in Ruh.“ Ihr Gedächtnis ließ sie nicht im Stich, aber die nächsten Verse des Sonetts drohten ihr im Halse steckenzubleiben.
    John Donnes Gedanken hatten ihr oft ein gewisses Maß an Trost geschenkt, während sie in den letzten Monaten gezwungen gewesen war, mit anzusehen, wie ihre Mutter dahinsiechte. Aber statt ihr an jenem Morgen Trost zu spenden, war ihr Donnes Sonett an den Tod wie Hohn erschienen. Die Siegeserklärung klang hohl und leer im Licht dessen, was der Tod stahl, auch wenn dieser Diebstahl vom Blickwinkel der Ewigkeit aus nur von kurzer Dauer war.
    Sie zog das kleine Buch mit den Sonetten aus ihrer Tasche, das schon ganz abgegriffen war, und schlug die Seite auf, die ihre Mutter zuletzt angestrichen hatte.
    Die Notiz unten auf der Seite erregte ihre Aufmerksamkeit.
    Sie erinnerte sich immer noch an die fließende Handschrift ihrer Mutter, an die kunstvollen Schlingen und Schleifen, die so viel Ähnlichkeit mit ihrer
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