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Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond

Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond

Titel: Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
Autoren: Michael Peinkofer
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sich die Gründe verlagert haben«, erklärte Berin, der Spross des Harpunenmachers Moor, dessen Zunge so spitz war wie die Spieße, die sein Vater aus Knochen schnitzte.
    »Natürlich haben sie sich verlagert«, versetzte Alored unwirsch. »Aber weshalb? Die einen geben dem frühen Winter die Schuld. Andere meinen, dass uns ein Fluch der Gnomen getroffen hätte.«
    »Sprich leise«, forderte Kilan, der im Heck saß und den Nachen steuerte, während Berin mit kurzen Schlägen ruderte. »Sie mögen es nicht, wenn sie so genannt werden.«
    »Und wenn schon«, gab Alored zurück. »Ich fürchte mich nicht vor hergelaufenen Zwergen. Wahrscheinlich gibt es sie nicht mal.«
    »Mein Vater sagt, es gibt sie.«
    »Dein Vater spricht viel an langen Tagen, Berin Moor. Vor allem dann, wenn er zu viel Dunkelbier getrunken hat.«
    »Was willst du damit sagen?« Wutentbrannt ließ Berin das Ruder los und sprang auf. Der Nachen geriet dadurch ins Wanken, sodass sich Kilan Gumpers rundes Gesicht sorgenvoll zerknitterte.
    »Wollt ihr wohl aufhören!«, rief er. Aber die beiden jungen Männer dachten nicht daran, auch wenn sie nicht wirklich aufeinander böse waren. Alored ärgerte sich vielmehr darüber, dass sie noch keinen einzigen Fisch gefangen hatten und vielleicht leer nach Hause zurückkehren mussten, und der streitlustige Berin war ohnehin für jede Art von Händel dankbar.
    Lauthals beschimpften sie einander, dass es weithin über das Wasser scholl – bis ein dumpfes, gurgelndes Geräusch aus dem Nebel drang, so unheimlich, dass es die beiden Streithähne verstummen ließ. Sodann brach auch das Gurgeln ab.
    »Was war das?«, fragte Kilan in die entstandene Stille, aber weder Alored noch Berin konnten ihm eine Antwort geben.
    Reglos verharrten sie, in der Mitte des breiten Bootes stehend, und starrten auf die schieferfarbene Oberfläche des Sees, die sich im weißgrauen Nebel verlor.
    Wieder ließ sich das Gurgeln vernehmen, so dunkel und abgründig, als dränge es aus tiefsten Tiefen. Alored bückte sich und griff nach der Harpune, die im Bug bereitlag. Seine Handflächen, die trotz der morgendlichen Kälte feucht waren vor Schweiß, schlossen sich um den hölzernen Schaft. Erneut ein Gurgeln, diesmal auf der anderen Seite des Bootes. Was auch immer dieses unheimliche Geräusch verursachte, es bewegte sich im Wasser. Und es bewegte sich schnell…
    »La-lasst uns zurückrudern zum Ufer«, stammelte Kilan furchtsam. »Es war keine gute Idee, am Toisac auszufahren.«
    »Du bist ein Schisshase, Kilan Fischhautgerber«, beschied Alored ihm barsch, während ihm selbst das Herz bis in den Hals schlug. Mit zu schmalen Schlitzen verengten Augen starrte er in den Nebel – und sah auf einmal, wie sich die dunkle Flut des Sees teilte.
    Eine Welle brandete plötzlich auf und lief auf das Fischerboot zu, erfasste es im nächsten Moment und stellte es auf. Alored und Berin verloren das Gleichgewicht und stürzten, schlugen hart gegen die Back. Im selben Augenblick erklang Kilans gellender Schrei, und ein Schatten fiel über sie, der schwärzer war als jede Nacht.
    Alored warf sich herum, blickte hinauf – und erstarrte. Denn über ihm schwebte die garstigste Kreatur, die er je gesehen hatte.
    Riesige, kugelförmige Fischaugen glotzten auf ihn herab, aus einem zähnestarrenden Maul drang der Gestank von Fäulnis und Verwesung. Jäh flog es heran, und die Kiefer schlossen sich mit grässlichem Mahlen, verschlangen den Nachen und seine Besatzung mit einem Biss.
    So endete Alored, des Tangfischers Sohn.

 
    2
     
     
     
    Es hatte zu schneien begonnen.
    Früher als in jedem anderen Jahr.
    Alphart Wildfänger stand am Fenster und schaute den weißen Flocken zu, die im Wind tanzten, ehe sie sich über das Gras, die Bäume und die Felsen verteilten und sich zu einem weißen Schleier verwoben, der das Land bedeckte.
    Die Dämmerung war hereingebrochen, ungewöhnlich früh für diese Jahreszeit – ein weiterer Hinweis darauf, dass es ein harter und strenger Winter werden würde. Die Wolken hingen tief in diesen Tagen und verhüllten die windumtosten Gipfel, und in den Nächten konnte man es in den Bergen rumoren hören. Es war ein dumpfes Pochen, ein Schlagen wie von tausend Schmiedehämmern, das den Fels erbeben und die Gipfel erzittern ließ.
    Alphart dachte nicht darüber nach, was diese Geräusche zu bedeuten hatten. Er war ein einfacher Mann, der nicht viel von der weiten Welt wusste. Aber seine Instinkte, die geschult waren vom
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