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Lamento

Titel: Lamento
Autoren: Maggie Stiefvater
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das werde ich«, sagte Eleanor.

Buch Sechs
     
     
     
     
     
    Viele haben ihr Lieb’ verlassen
    und können sie nicht vergessen.
    Ich seh euch voller Mitleid an,
    denn ich habe selbst erlebt,
    welche Pein sich im Herzen erhebt,
    die kein Sterblicher heilen kann.
    »T HE C URRAGH OF K ILDARE «

Zweiundzwanzig
     
     
     
     
     
    Es herrschte Schweigen, als Eleanor sich zu uns umwandte. Über ihrer Schulter zog der Mond langsam über den Himmel, und die Vögel auf seiner Oberfläche flatterten und zitterten noch immer. Ihr silbriger Schein vermischte sich mit dem hässlichen Gelb der Straßenlaternen.
    »Ich habe lange darauf gewartet«, sagte Eleanor schließlich, kniete sich hin und hob den Seelenkäfig so anmutig auf, wie kein Mensch es vermocht hätte. »Luke Dillon, du hast der letzten Königin gedient, nicht dieser. Nimm deine Seele, mein Schatz.«
    »Danke«, sagte ich.
    »Das ist kein Geschenk«, sagte Luke tonlos.
    Eleanors Lächeln war ebenso schön wie furchterregend. »Du warst schon immer ein so kluger Junge. Willst du sie nun haben oder nicht, mein Lieber? Du hast so hart dafür gearbeitet.«
    Luke ließ meine Hand los und nahm ihr den Käfig ab. Er kehrte zu mir zurück und stellte den Käfig zwischen uns ab, als gehörte er uns beiden. »Was hat Deirdre zu erwarten?«
    Eleanor zuckte mit den Schultern. »Ein extrem langweiliges Leben, nehme ich an. Hässliche Kinder. Midlife Crisis. Bettpfanne. Tod.«
    »Du wirst ihr nichts tun?«
    Eleanor lächelte mich an, als gefiele ihr der Gedanke, doch sie schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich, mein Lieber. Es gibt zu viele andere amüsante Dinge zu tun.« Sie ließ den Blick über ihre Feen schweifen und klatschte in die Hände. »Da wir gerade davon sprechen, meine Hübschen, wo bleibt denn die Musik? Ist heute nicht Mittsommer?«
    Und damit wirbelten
sie
in die Nacht um uns hinaus und erfüllten den Parkplatz wieder mit ihrer Musik. Eleanor lächelte wohlwollend. »Nun, Deirdre, möchtest du dem Galloglass nicht seine Seele zurückgeben? Er kann den Blick gar nicht davon abwenden.«
    Das stimmte. Immer wieder schweifte Lukes Blick zu dem Vogel, und auch der Teil von mir, der in ihm steckte, wurde davon angezogen.
    Beinahe hasste ich den Vogel. Er bedeutete Abschied. Aber vor allem hasste ich es, nicht zu wissen, was mit ihm geschehen würde, wenn er seine Seele zurückbekam. Hatte Eleanor recht? Würde er für die Sünden der letzten Königin bezahlen müssen?
    »In irischen Liedern stirbt der Held am Ende immer, ist dir das noch nicht aufgefallen?« Lukes Stimme war kaum hörbar. Er hockte sich hin, um seine Seele zu betrachten, und ich sah die leuchtend weiße Taube in seinen Pupillen gespiegelt.
    »Wartet!«, rief Una, die aus der Aula getanzt kam, dicht gefolgt von Brendan, der James auf den Armen trug, als sei er federleicht. Er trat so dicht an mich heran, wie er es wagte, und legte James auf den Asphalt.
    »Lebt er?«, fragte ich und eilte zu ihm, kniete mich hin undsah, wie sich seine Brust hob und senkte. Ich hielt die Hand vor seinen Mund und spürte seinen warmen Atem.
    »Ich halte das immer noch für einen Fehler.« Brendan schüttelte den Kopf. »Aber noch lebt der Pfeifer, ja.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf Luke. »Was wird aus Luke Dillon?«
    Luke blickte mich über die Million Kilometer hinweg an, die uns trennten. Ich glaubte zu sehen, dass er sich fürchtete. »Was wird aus mir, Dee?«
    Ich holte tief Luft. Ganz gleich, was jetzt geschah, ich konnte nicht gewinnen. Aber vielleicht musste ich auch nicht ganz verlieren. Ich sah Brendan an. »Weißt du noch, was du an jenem Abend gesagt hast, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind?«
    »Er erinnert sich an alles«, warf Una ein. »Er ist wie ein Elefant.«
    Brendan hob die Hand. »Halt den Mund.« Er wandte sich mir zu. »Was habe ich denn gesagt?«
    »Du hast gesagt, Luke hätte früher … dass er in der Vergangenheit schon mit euch gespielt hätte«, stammelte ich, weil es mir schwerfiel, die richtigen Worte zu finden. »Du hast gesagt, er sei wie ihr, oder euch zumindest ähnlicher als die meisten Menschen. Und …« Mein Blick huschte zu Tom dem Reimer, der nicht weit entfernt stand und uns beobachtete. »Und Tom hat gesagt, dass Menschen, die bei den Feen leben, nicht sterben. Wenn ich ihm seine Seele zurückgebe – meint ihr, er hätte eine Chance, zu beweisen, wo seine Seele hingehört …«
    Lukes Blick huschte von mir zu Brendan. Ich wusste noch nicht einmal, ob er
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