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Lamarchos

Lamarchos

Titel: Lamarchos
Autoren: Jo Clayton
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gerichtet.
    „Sieh mich an!“ befahl sie. „Du hast doch Augen in deinem Kopf!“ Sie schob Olelo von ihrem Ohr weg, bis er sich – eindeutig ungefesselt – an ihrer Schulterspitze festhielt.
    Kale starrte zu Boden.
    „Schau her!“ wiederholte sie, warf ihm ihren Zorn entgegen.
    Zögernd hob er seine Augen und fixierte sie mit bitterem, haßerfülltem Blick. „Ich sehe, Frau.“ Er stieß das Wort höhnisch hervor. Die in seiner Kultur begründete Verachtung für die Frau kochte durch die Kruste der Blasiertheit, die er auf seiner Wanderschaft auf einem Dutzend Welten erlangt hatte.
    „Aber du siehst nicht. He! Sieh den Sprecher an, Mann! Was hält den Kleinen da, wo er ist?“
    Kaie verlagerte seinen Blick, sah den Sprecher frei auf ihrer Schulter sitzen. Er keuchte, seine dunkle Haut wurde zu stumpfem Aschgrau.
    „Lakoe-heai“, sagte sie leise.
    Er tänzelte wie ein nervöses Pferd, wich immer weiter zurück, während sie sprach. „Die Lakoe-heai haben mir den Sprecher geschickt. Olelo, sag es ihm.“
    Das Tier glitt zu ihrem Kopf zurück, kleine Händchen wickelten sich in ihr Haar, sicherten sein Gleichgewicht; dann richtete es sich auf. Glänzende schwarze Augen konzentrierten sich auf Kaie. „Die Frau ist Gikena und mehr. Schwester für uns und unter unserem Schutz. Wir erlegen dir diesen Befehl auf, Mann: Bis du hast, was du suchst, wirst du dieser Frau helfen, sie beschützen und ihr gehorchen.“ Olelo brach ab und schmiegte sich an Aleytys.
    Noch grau im Gesicht, taumelte Kaie ein paar Schritte rückwärts. „Ich höre“, sagte er heiser. „Helfen. Beschützen. Gehorchen.“
    „Aleytys!“
    Sie fuhr herum, sah zur Schleuse hoch. Maissa lehnte sich ungeduldig heraus. „Hol dein Kind!“ fauchte sie. „Wir brechen auf.“
    „Jetzt?“ Aleytys blickte zur untergehenden Sonne hin.
    „Jetzt. Sobald Stavver die Vryhh-Kiste montiert hat. Der Regen hat aufgehört, also müssen wir eine Distanz zwischen uns und das Schiff bringen.“ Sie blickte sich nervös um. „Steh nicht so herum!“
    Aleytys machte einen Schritt auf das Schiff zu, dann blickte sie über ihre Schulter zu dem stillen und nachdenklichen Kale zurück.
    „Wenn dies irgendwie möglich ist“, sagte sie ruhig, „dann laß Maissa nicht lenken.“
    Er riß seinen Kopf hoch, als erwache er aus einem nicht sehr angenehmen Traum, starrte sie ausdruckslos an, nickte verstehend; ein flüchtiges, ehrfürchtiges Aufflackern drängte sich durch die schwarze Kälte seiner Augen.

 
3
     
    „Was liegt da vorne?“ Aleytys schnippte mit Daumen und Zeigefinger ihrer freien Hand zu der ausgefahrenen Straße hin, die sich unter den trottenden Hufe der Pferde erstreckte. Unvermittelt mußte sie gähnen; überrascht über die Wirkung der klaren, kalten Morgenluft weiteten sich ihre Augen.
    „Diese Straße führt am Rande der Seengebiete entlang“, sagte Kale ernst. Nach der Konfrontation am gestrigen Abend war er um einiges aufgetaut; jetzt behandelte er sie mit einer würdevollen Höflichkeit, die sie ziemlich bezaubernd fand. Er lehnte sich gegen die Lattenlehne des Kutschbocks, entspannte sich und genoß das frische Gefühl des neuen Tages.
    „Die Seengebiete. Erzähl mir davon. Hast du dort gelebt?“
    „Nein. Meine Sippe …“ Sein Mund verengte sich. „Wir leben sehr nahe am Meer. Auf der anderen Seite der Berge.“
    „Oh.“
    „Die Seengebiete … Mhmm … Dort werden unsere besten Pferde gezüchtet.“
    „Sonst noch etwas?“
    „Pihayo. Ein Schlachtvieh mit langem und stark gefärbtem Fell. Gemüse nahe den Städten. Auf den Seeinseln Obstbäume. Ein reiches Land. Grasmeere. Viel Wasser. Flüsse. Hunderte von Seen. Sie haben ein gutes Leben, die Seenländer.“
    Aleytys nickte. „Ich kann es mir vorstellen. Mein Volk lebte auf fast dieselbe Art, aber wir haben einen rauheren Gebirgszug, Täler hoch in den Bergen mit Wintern, die länger dauern als bei euch ein ganzes Jahr. Dennoch ein gutes Leben.“
    Er warf ihr einen schrägen Blick zu, und seine unausgesprochenen Fragen hallten laut in der Stille. Warum war sie fortgegangen? Warum hatte sie ihr Volk verlassen, um ihr Glück in dieser schlecht zusammenpassenden Bande zu versuchen? Nach einer Minute wandte er seinen Kopf, so daß seine Blicke der Straße folgen konnten; ein Kilometer nach dem anderen glitt, identisch durch die sanft gewellten Hügel, auf sie zu. „War es der Dieb?“ fragte er, und weit hinten in seiner Stimme gab es eine Spur von Hohn.
    Aleytys seufzte
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