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Lady meines Herzens

Lady meines Herzens

Titel: Lady meines Herzens
Autoren: Rodale Maya
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London
    »Ein englischer Gentleman weiß genau, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um kein Gentleman mehr zu sein«, erklärte Lord Roxbury lautstark. Seine Begleiter – die übliche Mischung aus Lords, zweiten Söhnen und Lebemännern jeder Couleur – drückten überschwänglich ihre Zustimmung aus.
    Henry William Cameron Hamilton behielt seine gegenteilige Meinung für sich. Als dem zehnten Duke of Hamilton and Brandon war ihm der Luxus nicht vergönnt, sich auch nur einen winzigen Lapsus leisten zu können; er musste sich immer wie ein Gentleman verhalten. Deshalb trank er niemals zu viel, ging nie verrückte Wetten ein und machte sich auch niemals wegen einer Frau zum Narren. Laster und Ausschweifungen waren ihm fremd. Er erlaubte sich schlicht kein ruchloses Verhalten.
    »Ein englischer Gentleman weiß genau …« Lord Biddulph konnte den Satz nicht vollenden, sondern fiel betrunken vornüber. Sein Kopf knallte auf die Tischplatte, und sein schlaffer Arm fegte ein Glas vom Tisch, das am Boden zerschellte. Seine Kameraden brachen in Gelächter aus.
    Brandon bemerkte nicht ohne eine gewisse Missbilligung, dass es noch vor Mittag war.
    Er faltete die Zeitung zusammen, die er bisher gelesen hatte, und legte sie beiseite. Sein Freund Roxbury fing quer durch den Raum seinen Blick auf und hob grüßend sein Glas Brandy. Er lud Brandon ein, sich zu ihnen zu gesellen. Bedauernd lehnte er ab. Seine Geschäftsbücher erwarteten ihn, und es gehörte nicht zu seinen Talenten, Zahlenkolonnen zu addieren, nachdem er bereits Alkohol konsumiert hatte.
    Obwohl die anderen Männer in seinem Alter waren und einen ähnlichen Stand innehatten, fühlte Brandon sich Welten von ihnen entfernt und um Jahre älter als sie. Einst war auch er ein ausschweifender und sorgloser junger Mann gewesen wie die anderen. Bis er im Alter von achtzehn Jahren sein Erbe angetreten hatte. Es hatte also Zeiten gegeben, da hätte er sich ohne nachzudenken den anderen angeschlossen.
    Brandon vermisste es nicht, sich bis zum Morgengrauen sinnlos zu betrinken. Ebenso wenig fehlte es ihm, sich mit Opernsängerinnen und Schauspielerinnen zu vergnügen. Was er allerdings vermisste, war die Freiheit, dergleichen zu tun, ohne sich allzu sehr um die Konsequenzen zu scheren.
    Er hatte vergessen, wie es sich anfühlte, eine Entscheidung zu treffen, ohne zu bedenken, welche Auswirkungen dieser Entscheidung auf seine Mutter, die drei Schwestern, den Haushalt und die Hunderte Pächter haben könnte, die sich auf sein Urteil und seinen gesunden Menschenverstand verließen. Er fragte sich, wie es sein mochte, sich nicht länger dem uralten Erbe verpflichtet zu fühlen, das er fortzuführen gedachte.
    Einfach zu vergessen, dass er ein Duke war.
    Um nur er selbst zu sein …
    Brandon sprach diese Gedanken nie laut aus, weil niemand gerne hörte, welche Sorgen einen Mann in seiner Position quälten. Stattdessen überließ er die anderen ihren Vergnügungen und verließ die dunkle, verrauchte Zuflucht, die der Club für viele seiner Mitglieder darstellte, und trat ins Sonnenlicht.
    An einem so wunderschönen Sommertag wie diesem war die Rückkehr nach Hamilton House, um dort stundenlang über den Geschäftsbüchern zu sitzen, das Letzte, was ein gesunder Mann sich wünschte. Aber die Arbeit musste getan werden. Ein langer Spaziergang nach Hause erschien ihm als angenehmer Kompromiss zwischen Arbeit und Vergnügen.
    Als er an der Burlington Arcade vorbeiging, wurde seine Aufmerksamkeit vom Schrei einer Frau geweckt. Sie zeigte auf eine andere Frau, die in ihrem hellblauen Kleid eiligen Schritts direkt auf eine Katastrophe zusteuerte. Beim Klang des Schreis zögerte die Frau und schien starr vor Angst, ausgerechnet jetzt, da eine Kutsche, die von sechs weißen Pferden gezogen wurde, direkt auf sie zuhielt.
    Brandon stürzte vor. Er stieß einen Jugendlichen beiseite, der die neuesten Zeitungen feilbot. Die bedruckten Blätter flatterten durch die Luft. Brandon hechtete nach vorn, packte die Frau mit beiden Händen um die Taille und riss sie von der Straße. Sie prallte gegen seine Brust und trieb ihm die Luft aus den Lungen.
    Die Pferde donnerten an ihnen vorbei, und die Kutsche folgte.
    Er hielt sie in den Armen. Er hatte sie gerettet.
    Brandon hielt sie eine Sekunde länger, als nötig oder angemessen gewesen wäre, an sich gedrückt. Teils, weil sie keine Anstalten machte, sich ihm zu entwinden, doch wenn er ehrlich war, hielt er sie vor allem deshalb, weil sie so
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