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Lady Chatterley (German Edition)

Lady Chatterley (German Edition)

Titel: Lady Chatterley (German Edition)
Autoren: D. H. Lawrence
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Provinzialismus der Kunst, der Hand in Hand mit reinen sozialen Idealen geht.
    Mit fünfzehn Jahren wurden sie nach Dresden geschickt, unter anderem wegen der Musik. Das war eine schöne Zeit für sie. Unbekümmert bewegten sie sich unter den Studenten, diskutierten mit den Männern philosophische, soziologische und künstlerische Fragen; sie standen den Männern dabei nicht nach, übertrafen sie vielleicht sogar, denn sie waren Frauen. Und sie durchstreiften die Wälder mit stämmigen jungen Burschen, die auf Gitarren Lieder klimperten, tweng-tweng! Sie sangen Wandervogellieder, und sie waren frei. Frei! Das war das große Wort. Hinaus in die weite Welt, hinaus in die Wälder des Morgens mit den fröhlichen und starkkehligen Jünglingen, frei, zu tun, was das Herz begehrte und – was die Hauptsache war – zu sagen, was sie wollten! Am wichtigsten war das Gespräch, der leidenschaftliche Gedankenaustausch. Liebe war nur eine nebensächliche Begleiterscheinung.
    Mit achtzehn ungefähr hatten Hilda und Constance ihre ersten tastenden Liebeleien gehabt. Den jungen Männern, mit denen sie so leidenschaftlich diskutierten, so fröhlich sangen und in solcher Freiheit unter den Bäumen kampierten, ging es natürlich um ein Liebesverhältnis. Die Mädchen zögerten, doch wurde so viel über die Sache geredet, daß sie wohl wichtig sein mußte. Und die Männer waren so demütig, so voll Verlangen. Warum sollte ein Mädchen da nicht großmütig sein und sich selber zum Geschenk machen?
    So hatten sie sich denn zum Geschenk gemacht, jede dem Jüngling, mit dem sie die subtilsten und intimsten Gespräche führte. Die Gespräche, die Diskussionen – das war das Große; Zärtlichkeit und körperliche Vereinigung waren eher ein Atavismus, ein Rückfall ins Primitive. Man war hinterher weniger verliebt in den Jungen, neigte sogar ein wenig dazu, ihn zu hassen – als hätte er die Grenzen der privatesten Sphäre, der inneren Freiheit mißachtet, denn: man war ein Mädchen, und die ganze Würde und Bedeutung, die man im Leben gewann, hing daher vom Erringen einer absoluten, einer vollkommenen, einer reinen und edlen Freiheit ab. Was anders bedeutete das Leben eines Mädchens, als die alten, niedrigen Bindungen abzuschütteln?
    Und wie sehr man sie auch mit Gefühlen aufladen mochte, diese geschlechtlichen Dinge gehörten zu den urältesten, niedrigsten Bindungen und Abhängigkeiten. Die Dichter, die sie verherrlichten, waren zumeist Männer. Frauen hatten immer gewußt, daß es etwas Besseres gab, etwas Höheres. Und jetzt wußten sie es entschiedener denn je. Die herrliche, reine Freiheit einer Frau war unendlich wunderbarer als jede geschlechtliche Liebe. Es war ein Jammer, daß die Männer in dieser Hinsicht so weit hinter den Frauen herhinkten. Gierig wie Hunde waren sie auf das Sexuelle aus.
    Und eine Frau hatte nachzugeben. Ein Mann war in seinen Begierden wie ein Kind. Die Frau mußte ihm gewähren, wonach ihn gelüstete, sollte er nicht unausstehlich werden wie ein Kind, im Trotz davonlaufen und zerstören, was doch eine sonst so erfreuliche Beziehung war. Aber eine Frau konnte sich einem Mann hingeben, ohne zugleich auch ihr inneres, freies Wesen hinzugeben. Das schienen die Dichter und alle, die über den Sexus schwatzten, nicht genügend bedacht zu haben. Eine Frau konnte einen Mann nehmen, ohne sich selber wirklich herzugeben. Sicherlich konnte sie ihn nehmen, ohne sich seiner Macht auszuliefern. Eher noch konnte sie das Geschlechtliche dazu benutzen, ihn in ihre Macht zu bekommen. Denn sie brauchte sich im geschlechtlichen Zusammensein nur zurückhalten und ihn sich ausgeben zu lassen, ohne selbst zum Höhepunkt zu gelangen: und dann konnte sie die Vereinigung hinausziehen und ihren Orgasmus und ihren Höhepunkt erreichen, während er nur ihr Werkzeug war.
    Beide Schwestern hatten ihre Erfahrung in der Liebe hinter sich, als der Krieg ausbrach und sie überstürzt heimgerufen wurden. Keine von beiden verliebte sich je in einen jungen Mann, wenn sie ihm nicht im Wort sehr nahegekommen war – das heißt, wenn das Verlangen nach dem Gespräch nicht aus der Tiefe kam. Der wunderbare, tiefe, unfaßliche Schauer, mit einem wahrhaft klugen jungen Mann ein leidenschaftliches Gespräch zu führen, stundenlang, Tag für Tag den Faden wieder aufzunehmen, durch Monate hin … davon hatten sie nie etwas gewußt, bis es ihnen geschah. Die paradiesische Verheißung: Du sollst Männer haben zum Gespräch! war nie ausgesprochen
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